Zündstoff: Die Kraft des Augenblicks

Nicht jedes verfehlte Tor – egal ob im Stadion oder auf der Piste – ist gleich eine Tragödie.

Eigentlich war es eine ganz gute Partie, damals am 25. März 1989. Doch die italienische Abwehrmauer stand ebenso noch wie die Berliner Mauer. Prohaska, Zsak, Ogris, Herzog – keiner schaffte es, sie zu durchstoßen in diesem Länderspiel im Praterstadion, das erst drei Jahre später auf Vorschlag der KURIER-Sportredaktion Ernst-Happel-Stadion heißen sollte. Und dann passierte dort etwas durch und durch Österreichisches: Berti erzielte in der 88. Minute das 1:0 für Italien. Gut gespielt, aber leider verloren.Erster Gratulant beim Schützen: ein gewisser Stefano Borgonovo, damals genau 25 Jahre alt, aus der Kleinstadt Giussano an der Schweizer Grenze. Er war in der 21. Minute eingewechselt worden, weil sich Serena verletzt hatte. Man sagte ihm eine große Zukunft voraus. Bei Fiorentina sollte er den großen Roberto Baggio ersetzen, der zu Juventus wechselte. Zuvor holte Borgonovo noch Europacup und Weltpokal als Leihspieler beim AC Milan, nur eine Knieverletzung vereitelte seine Chance, bei der Heim-WM 1990 für Italien zu spielen.Als die Österreicher ganz in der Nähe von Florenz in einer toskanischen Villa ihr WM-Quartier bezogen, war Borgonovo kein Thema mehr. Nichts wurde aus der großen Karriere. Das Länderspiel gegen Österreich war sein vorletztes. Ernst Happel musste ihn in keiner seiner KURIER-Kolumnen erwähnen.Heute ist Borgonovo 47. Er ist komplett gelähmt. Nur noch die Augen gehorchen seinem unglaublichen Willen. Die Pupillen steuern jenen Computer, der seine einzige Möglichkeit darstellt, mit anderen Menschen zu kommunizieren.Borgonovo leidet seit 2006 an Amyotropher Lateralsklerose, kurz ALS. Das ist eine unheilbare Nervenkrankheit, bei der Zellen im Rückenmark und im Gehirn sterben. Drei von 100.000 erkranken daran. Eigentlich beträgt die Lebenserwartung maximal nur fünf Jahre.2008 gründete der ehemalige Stürmer die Stiftung Stefano Borgonovo, mit deren Hilfe die Krankheit erforscht werden soll. Die FIFA und ehemalige Klub- und Teamkollegen, aber auch aktuelle Spieler, die diese Stiftung unterstützen, bescheinigen Stefano einen unvergleichlichen Siegeswillen und Humor. Trotz all seiner Leiden. Im Sport hat ihn diese Kombination nicht bis ganz an die Spitze gebracht. Jetzt ist sie seine einzige Chance.Auch solche Geschichten schreibt der Sport. Nicht jedes verfehlte Tor – egal ob im Stadion oder auf der Piste – ist gleich eine Tragödie.

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