Von Scheff zu Chef

Zündstoff: Falsches Täter-Profil
Zündstoff: Otto Scheff gewann mit 17 Jahren Gold über 400 Meter, gilt somit als bis heute jüngster österreichischer Olympiasieger.
Jürgen Preusser

Jürgen Preusser

Bei der Eröffnung der Olympischen Spiele in London am Freitag wird Österreich als 13. Nation einmarschieren. Doch mit Aberglaube hat es wenig zu tun, dass Österreichs Medaillenchancen schon einmal besser waren als 2012.

Von den 70 österreichischen Teilnehmern werden 53 am Freitag bereits anwesend sein. 40 werden ins Stadion einziehen. Verzichten muss wieder einmal Judoka Ludwig Paischer: Der Silbergewinner von 2008 ist gleich am Samstag, dem ersten Wettkampftag, im Einsatz.

Erst ein Mal – 1964 in Tokio – ist Österreich im Sommer leer ausgegangen. Doch die ersten Spiele von London im Jahr 1908 waren auch nicht gerade erfolgreich. Damals starteten sieben Österreicher noch unter schwarz-gelber Monarchie-Fahne als eines von 22 Teams. Die einzige Medaille gewann der Schwimmer Otto Scheff.

Von Scheff zu Chef

1889 wurde Otto Scheff als Sohn des jüdischen Schriftstellers Heinrich Sochaszewsky (Pseudonym: Victor von Falk) in Berlin geboren. Als 15-Jähriger wurde er bei der WM sensationell Dritter über 340 Meter. Dies bedeutete die Qualifikation für Athen 1906. Mit 17 gewann er dort Gold über 400 Meter, gilt somit als bis heute jüngster österreichischer Olympiasieger. Oder auch nicht, denn die Spiele waren nur Zwischenspiele – und die Statistiker sind uneinig.

Fast wäre nicht einmal aus diesem (halben) Olympiasieg etwas geworden: Schule und Schulbehörde hatten sich quergelegt. Erst nach einer Intervention des Olympischen Comités gab man Otto drei Wochen schulfrei. Als Dankeschön holte er auch noch Bronze über die Meile.

1908 war Scheff mit der Schule fertig und studierte an der Wiener Uni Jus. Dennoch wiederholte er fast seinen Triumph von 1906 und wurde schließlich Dritter über 400 Meter Freistil. Auch 1912 in Stockholm trat Otto Scheff an: Mit dem Wasserball-Team wurde er Olympia-Vierter. Seine Tochter Gertraud Scheff war für Tokio 1940 qualifiziert, als die Spiele wegen des Krieges abgesagt werden mussten.

Nach seiner Schwimmkarriere wurde Otto Scheff Rechtsanwalt. Unter anderem zählten Kunsthändler zu seinen Klienten. Nach dem Krieg zog er in den Nationalrat ein und blieb bis 1953 Abgeordneter der ÖVP. Außerdem war er Präsident des Schwimmverbandes und Vizepräsident des ÖOC. Otto Scheff starb im Alter von knapp 67 Jahren in Maria Enzersdorf. Eine Gasse in Mödling heißt Dr.-Otto-Scheff-Weg.

Nur eine Medaille in London? 104 Jahre nach Otto Scheff wäre dies für den relativ neuen ÖOC-Chef Karl Stoss bei zehn Mal so vielen österreichischen Teilnehmern (aber auch neun Mal so vielen Teilnehmerländern) eine Enttäuschung. Wenn auch nicht ganz unrealistisch.

juergen.preusser@kurier.at

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