Systematische Verzerrung

Zündstoff: Falsches Täter-Profil
Zündstoff: So perfekt, wie das im Fernsehen rüberkommt, ist die EURO 2012 auch wieder nicht

Nicklas Bendtner hätte die 100.000 Euro Strafe verschmerzt, selbst wenn sie nicht – wie nun angekündigt – der verbotene Sponsor bezahlt. Auch die Sperre für ein Pflichtspiel für Dänemark ist verkraftbar. Der Stürmer hatte beim Torjubel im zweiten Gruppenspiel der Dänen seine Unterhose zur Schau gestellt und dadurch den Schriftzug des Wettbüros Paddy Power freigelegt. Weitaus geringer fielen bisher die Strafen für jene Fans aus, die in den Stadien Feuerwerkskörper gezündet haben. Die nationalen Verbände müssen dafür bezahlen. (Es sei denn, sie machen die Übeltäter ausfindig wie zuletzt der Deutsche Fußballbund.) Warum ist das eigentlich so? Ist nicht die UEFA gemeinsam mit den Verbänden der Gastgeber-Nationen dafür verantwortlich, dass nach wie vor verbotene Gegenstände auf die Tribünen gelangen? Ist man womöglich zu sehr damit beschäftigt, den Fans Kleidungsstücke und Gegenstände abzunehmen, die Logos von Firmen zeigen, die nicht im UEFA-Werbepool zu finden sind? Zweifellos erleben wir eine spektakuläre Europameisterschaft. Vielleicht sogar die beste bisher. Doch so perfekt, wie das im Fernsehen rüberkommt, ist die EURO 2012 auch wieder nicht: In vielen Stadien bleiben Sitzplätze frei. Die von der UEFA mit strengen Knebelverträgen ausgestattete Weltregie verweigert uns diese Bilder. Auch brennende Feuerwerkskörper werden nur dann kurz eingeblendet, wenn sie auf dem Rasen landen oder Nebelschwaden produzieren, denen die Objektive der Kameras nicht ausweichen können. Alle Bilder unterliegen einer gar strengen Zensur. Nach dem Motto: Willst du übertragen, dann gefälligst nach unseren Regeln. So etwas passiert natürlich auch auf Kriegsschauplätzen und bei politischen Veranstaltungen. Dann ist aber wenigstens das eine oder andere Mal von einem Medienskandal oder von untragbarer Beeinflussung die Rede. Hier geht es zwar nur um Fußball. Das unterwürfige Verhalten der Fernsehstationen ist in Wahrheit aber die komplette journalistische Kapitulation. Zwar kann darüber diskutiert werden, ob Krawalle und Schlägereien außerhalb der Stadien in den offiziellen EM-Sendungen etwas verloren haben. Man muss den ewigen Radaubrüdern ja nicht unbedingt ein übertrieben großes Forum geben. Wenn Reporter dann aber permanent vom Fest des Friedens, von friedliebenden Fans, von beispielhaftem Verhalten, von rührenden Verbrüderungen oder sonstigen Schwachsinnigkeiten faseln, dann muss man kein Schelm sein, um dahinter einen Generalauftrag zu vermuten. Fußball hat viele Licht-, aber auch einige Schattenseiten. Die finsterste ist die bewusste Verzerrung der Realität. Und die hat sowohl in der UEFA als auch in der FIFA System.

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