wunder WELT: Zahnarztbesuch

wunder WELT: Zahnarztbesuch
Joachim Lottmann über sadistische Zahnärzte.
Joachim Lottmann

Joachim Lottmann

Gestern war ich beim Zahnarzt in der Rotenturmstraße. Ein schöner Test. Gibt es sie noch, die sadistischen Zahnärzte? Die Horrorbilder unserer Kindheit? Die Stunden der nicht endenden Schmerzzufügung? Oder ist dieses Übel vergangener Jahrhunderte ebenso verschwunden wie Wasserköpfe, Kindbettfieber und Gesellschaftstanz? Wäre doch möglich! Der kleine Zahn ist schnell wieder zementiert. Wirklich, es ist eine Frage von Minuten, fast nur Sekunden. Zahlt nicht die Kasse, kostet 95 Euro. Na, kein Beinbruch, was ist das schon. Später einmal soll eine Krone den Wackelzahn ersetzen, 850 bis 950 Euro, zahlt wieder nicht die Kasse. Bis die Krone fertig ist, kann man schon einmal die Mundhygiene machen, oder? Nur 108 Euro, bar auf die Hand of course. Ich stimme zu. Nun beginnt die Hölle. Wir sind jetzt bei 1.158 Euro. Ich höre, dass eine Zahnfleischblase oder so meine Brücke bedroht. Da kommt man nur schwer ran. Ein Teil der Brücke muss abgesägt werden, dann Wurzelbehandlung, kann schiefgehen, dann neue Brücke, das gehe dann Richtung 5.000 Euro. Zahlt leider nicht die Kasse. "Was?! Ich zahle 560 Euro jeden Monat an die Kasse, seit Jahrzehnten! Ich kann doch wohl verlangen . . . " Ein furchtbarer Schmerz stoppt jäh meinen Satz. Da ist es wieder, das Gefühl aus der Kindheit. Der Folterstuhl hat sich kein bisschen verändert. Nur teurer ist er geworden. Die hübsche Assistentin aus dem Balkan, die ohne Betäubung den Zahnstein aus den unteren Wurzeln kratzt, bis man fast den Verstand verliert, foltert munter weiter: "Ja, Zahn rausreißen. Muss man sehen, ob gut geht. Kann verheilen, oder nicht. Neues Knochen bilden, oder nicht. Dauern vier Monate. Oder länger. Weiß man? Mussen Sie Ihren Körper fragen, ha ha ha!" Beschwerden hatte ich bisher nie dort. Ich wundere mich. "Oh, Schmerz kann kommen. Kann SEHR weh tun . . ." Ich glaube ihr kein Wort. Klar ist nur, dass es sie weiterhin gibt, die Zahnärzte unserer Kindheit. joachim.lottmann(at)kurier.at

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