wunder WELT: Medien-Steinzeit

wunder WELT: Kreislauf
Joachim Lottmann über das Programm von gestern.
Joachim Lottmann

Joachim Lottmann

Heute hat man ja keinen Fernseher mehr. Wir schon, aber das ist uns peinlich. Das Fernsehen gehört in die Medien-Steinzeit. Wer jetzt noch guckt, ist im Schnitt 66,7 Jahre alt. Man sieht alles Wissenswerte auf dem Laptop, auch die Filme, die man downloaded, auch im Bett. Nun besucht uns aber am Wochenende Elena Plaschg aus Berlin, und die darf unseren alten Flachbildschirm nicht entdecken in der an sich ja schönen Wohnung. Ich habe der Maria gesagt, dass wir das Ding verstecken müssen.

"Wir könnten ein Tuch davorhängen", meinte sie, "oder das große Ölbild!" Wir besitzen das Bild "Die junge Kranke und der Arzt" von einem unbekannten Meisterschüler aus dem 16. Jahrhundert. Haben wir bei eBay ersteigert. Das kann man heute tun. Ich wehrte ab: "Wenn das rauskommt, stehen wir doppelt wie die Spießer da. Da ist es schon besser, man gibt zu fernzusehen, aber eben nur arte und 3sat." – "Und die ZiB 1 im ORF." – "Ja." – "Oder wir schieben den Bildschirm unters Bett. Ist ja so flach." – "Ja, aber wenn sie uns einmal beim Gucken erwischt? Sie bleibt bis nach Heilig’ Abend, da schalten wir bestimmt einmal ein." – "Sie wird fragen, warum wir die Sendung nicht runtergeladen haben. Das wird peinlich, wenn sie merkt, dass wir das gar nicht können!" – "Ja, junge Leute sind gnadenlos. Das ist der Beweis, dass wir von gestern sind." – "Wir sollten nur mit Kopfhörern gucken. Nur nachts, und weg vom Fenster bleiben." – "Und sagen, dass wir etwas übers Unterschichtsfernsehen der Neunziger Jahre schreiben müssen. Recherche eben!" – "Und wenn sie’s nicht glaubt?" Sie sah mich an. Ich wich dem Blick aus. Wir schwiegen lang. "Dann rufe ich am Montag beim Altersheim an, ob sie noch zwei Plätze frei haben!"

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