wunder WELT: Freundschaften

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Joachim Lottmann über den Segen des Facebook.
Joachim Lottmann

Joachim Lottmann

Am Schwedenplatz gibt es das beste Eiscafé sowie die hässlichste McDonald's-Filiale der Stadt. Zwischen diesen beiden Orten - Luftlinie 80 bis 90 Meter - verlor ich meine rosafarbene Homosexuellentasche. Sie rutschte unbemerkt vom Fahrradgepäckträger. Diese Tasche war mein Markenzeichen, gerade in der Hetero-Szene, wo rosa ja verpönt ist. Auch in Berlin Mitte, wo ich herkomme, war ich viel mit Heteros unterwegs (sie sind dort eine bedrängte Minderheit), immer mit dieser rosaroten Computertasche. Nun war sie weg. Mit ihr: mein iPhone, mein Adressbuch, die Fahnen meines neuen Romans "Hundert Tage Alkohol", mein Schlüsselbund und ein Speicherstick mit allen Dokumenten meines alten, defekten Computers. Zwischen den beiden beschriebenen Punkten liegt die kleine Polizeistation Laurenzerberg. Vor der Tür lungern immer junge Bullen herum, wie man in Deutschland sagen würde, also Nachwuchs-Polizeibeamte, weil es drinnen so eng ist. Sie hatten nichts gesehen. Auch das Fundbüro wusste nichts. Ich fragte in allen Läden auf der fraglichen Strecke - nichts. Die Lage war hoffnungslos. Doch am Abend meldete sich jemand. Auf Facebook. Eine alte Frau. Auch sie hatte sich, wie Milliarden anderer Erdenbürger, bei Mark Zuckerbergs Firma angemeldet. Sie postete: Habe am Schwedenplatz eine Tasche gefunden. Bist du Joachim Lottmann?" Ich fuhr sofort zu der netten Dame. Eine Wiener Großmutter, die auf ihre Enkel aufpassen musste und nicht aus dem Haus konnte. Ich war so aufgeregt, dass ich vergaß, Blumen mitzubringen. Ich schenkte ihr dafür einen Teil des Tascheninhalts, nämlich die Fahnen meines Romans. Die sind später einmal viel wert. Ich signierte sie hastig und ging. Als ich mich das nächste Mal bei Facebook einloggte, fand ich eine weitere Nachricht von der Oma vor. Sie fragte mich, ob sie meine offizielle Facebook-Freundin werden dürfe. "Hm", dachte ich, "sie ist zwar älter als ich, aber echt nett." Und antwortete kurz und bündig: "Gefällt mir."joachim.lottmann(at)kurier.at

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