wunder WELT: Arztbesuch

wunder WELT: Arztbesuch
Joachim Lottmann über eine Herzuntersuchung beim Hausarzt.
Joachim Lottmann

Joachim Lottmann

Am Abend, kurz vor 18 Uhr, bin ich zum Arzt gegangen. Zum normalen Hausarzt. Wegen des Herzens. Er wohnt sogar in meiner Straße. Zweiter Bezirk. Sehr kleine Praxis. Freiwillig wäre ich nie hierher gekommen. Im Wartezimmer kein Mensch, an der Rezeption eine alte Frau, wohl die Mutter des Arztes. Monoton fragt sie, ob ich schon einen Hausarzt hätte. Ich antworte mit meinem entwaffnenden Charme: "Ich glaube hoffen zu dürfen, genau diesen hier zu finden, gnädige Frau!" Sekunden später packt der Arzt, ein Bär von Mann, meine Hand, zerquetscht sie fast. Er trägt keinen Kittel, sondern T-Shirt und Jeans. Ich habe aber sofort Vertrauen zu ihm. Liebe braune Augen, voller Menschenfreundlichkeit und ärztlicher Neugierde. Er fragt, was mich zu ihm treibe. "Ich wollte mich untersuchen lassen, Herr Doktor." - "Welche Beschwerden haben Sie denn?" - "Nun, ich möchte das Herz anschauen lassen." Er prüft meinen Puls, dann Herz und Lunge. Dazu muss ich mein Oberhemd ausziehen, was mir peinlich ist. Dann muss ich mich auf eine Pritsche legen, und er macht ein EKG. Alles dauert weniger als eine Minute. "Sie können Ihr Hemd wieder anziehen", sagt er. Das ausgedruckte EKG sieht er sich bereits an. Ich setze mich wieder, und er sagt, ich sei vollkommen gesund. Alle Werte seien ideal. Fast enttäuscht fragt er, was denn los sei. Ob ich unter Stress stünde. Nun, Herr Doktor, ich bin seit vier Monaten mit einer äußerst attraktiven Frau zusammen. Vorher war ich fünf Jahre lang allein, also, äh, ich war Witwer. - "Sie sind verliebt!", ruft der Arzt nach kurzer Überlegung. "Ja! Genau!" - "Wie alt ist denn Ihre junge Frau?" - "Sie ist 47, erfolgreich und sexuell sehr anspruchsvoll. Sie ist wirklich toll." Bei der Zahl 47 sah er mich hocherfreut an. Bei einem 24-jährigen Pupperl hätte er das EKG sicher gleich nochmal gemacht. "Genießen Sie es", sagte er und stand auf. Das war sein abschließendes ärztliches Urteil.Buchtipp: "Hundert Tage Alkohol" (Verlag Czernin)joachim.lottmann(at)kurier.at

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