Notgeile Pensionisten

wunder WELT: Kreislauf
wunder WELT: Joachim Lottmann über seine zusammenklappbare Nordic-Walking-Stöcke.
Joachim Lottmann

Joachim Lottmann

Als ein in Hamburg Aufgewachsener gehe ich gern spazieren. Dort umrundet jeder einmal täglich die Alster, und am Sonntag ist der große Elbspaziergang dran. Man stapft voran, meist im Regen, und redet dabei. Hier in Wien würde ich das gern mit meiner Wiener Frau tun. Sie ist attraktiv, jünger als ich und ungeheuer gescheit, die Maria. Leider auch fitter als ich.

Sie läuft gefühlt doppelt so schnell, da sie auch längere Beine hat und kein Gramm zu viel am austrainierten Körper. Um das zu kompensieren – ich bin nämlich dick – habe ich nun Nordic-Walking-Stöcke gekauft. Sie waren kolossal teuer, fast 200 Euro, sind aber zusammenklappbar. Ich kann sie immer mitführen und spontan einsetzen, etwa im Laufschritt zum Kino. Die Maria rennt nämlich immer im Laufschritt. Sie ist sowieso immer auf Hochtouren. Sie rennt, rackert, gibt Befehle, telefoniert beim Einkaufen, tut stets Mehreres auf einmal und immer schnell. Nie muss sie sich hinsetzen oder sich ausruhen. Ein Segen daher, dass ich nun nachgerüstet habe mit den Stecken, die meine Beine zu Hochgeschwindigkeitsbolzen machen. Nur: Die Frau liebt das nicht. Nordic Walking ist ihr peinlich. Sie verbietet mir das! Mit diesen Opa-Stöcken in einen erotischen Liebesfilm zu laufen – wie zuletzt in "Das bessere Leben" mit Juliette Binoche – hält sie für pervers.

Zugegeben, wir kamen etwas zu spät und das knallende Einklappen der Alu-Teile machte zu viel Lärm. Alle hielten uns für notgeile Pensionisten. Na und? Ich weiß doch, wer wir sind. Meine Maria ist das klügste, zarteste und anständigste Mädchen der Welt, unendlich gut und hilfsbereit, die Frau, die ich liebe. Und ich bin der Mann, der geisteskranke Nordic-Walking-Stäbe kauft und darüber schreibt. Sie ist die Frau, die das aushält, und ich der Mann, der den Schrott wieder wegwirft, am Tag danach.

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