Kulturschock

wunder WELT: Kreislauf
wunder WELT: Joachim Lottmann über die Kunst, das unbedingt Erwartbare zu sagen.
Joachim Lottmann

Joachim Lottmann

Zurückkommend von einer kleinen, herrlich gesunden Italienreise, traf mich gestern unvorbereitet der Kulturschock à la Österreich. Man sitzt am Tisch, trinkt viel zu viel Weißwein und muss konversieren. Das ist die Kunst, das unbedingt Erwartbare zu sagen. Meine Tischdame links fragt, wo ich herkomme. Ich antworte angetrunken, dass sie das nichts anginge. Die Tischdame rechts fragt, ob ich Deutscher sei. Ich verneine mürrisch. Vielleicht Schweizer? Das sind die Damen gegenüber. "Nein! Ich bin Wiener!" Damit will ich das Thema beenden. Nun wieder links: "So klingen Sie gar nicht. Wo sind Sie aufgewachsen?" Ich schlage meine Zähne in das köstliche Schwarzbrot mit Bergkäse, das ich geordert habe und würge die Debatte ab: "Wenn ich sage, ich bin Wiener, dann haben Sie das zu akzeptieren. Das ist political correctness. Wenn ich sage, ich bin eine Frau, müssen Sie ja auch so tun, als glaubten Sie es!" Die Damen schütteln den Kopf, widersprechen, plappern durchei­nander. Ich beschließe, stärkere Geschütze aufzufahren: "Das ist doch grundsätzlich so, verdammt nochmal. Zuschreibungen, die aus Umständen kommen, für die man nichts kann, sind zu unterlassen. Wir leben in modernen, aufgeklärten Zeiten, nicht wahr." Man protestiert; man wolle doch nur wissen, welche Muttersprache ich spräche, welchen Dialekt. "Eben! Und das ist nun einmal unhöflich!" Wieso? "Das ist, als fragte man einen Menschen mit dunkler Hautfarbe, ob er aus Afrika kommt!" Nein, nein, Hilfe, so sei das nicht gemeint. Ich: "Und Dialekt ist ohnehin schlecht. Sollte man verbieten.

Das ist etwas für Hansi Hinterseer und höchst fragwürdige Sendungen im Unterschichtenfernsehen!" Jetzt bin ich in Fahrt gekommen, rede immer weiter. Meine Frau bemerkt die Unruhe um mich herum und zieht mich aus dem Verkehr. Aber ich habe das letzte Wort: "Ich bin Hamburger und esse daher jeden Tag Fischsuppe!"

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