Junkie-Hilfe

wunder WELT: Kreislauf
wunder WELT: Joachim Lottmann über Maria, die vielleicht bald wieder raucht.
Joachim Lottmann

Joachim Lottmann

Der Entzug vom Rauchen dauert bei der Maria nun schon fast vier Wochen. Und: Es wird schlimmer! Nicht besser. Der Magen tut ihr weh von den vielen Zuckerln und der Schokolade, die sie dauernd essen muss. Beim Trinken ist sie schnell betrunken, weil sie ja immer am Glas nippt.

Die Maria schwimmt gern. Das Schöne war für sie früher, dass sie nach dem Schwimmen eine rauchen konnte. Das ist jetzt vorbei. Die ganze Lebensfreude ist weg. Es ist ihr, als würde sie nie richtig wach werden, nie mehr richtig da sein. Sie glaubt buchstäblich zu verblöden. Und dick zu werden. Unfassbar: Die schönste Frau hier im Viertel hält sich nun für hässlich!

Nur der Anfang vom Entzug war schön: Da haben sie alle als Heldin gefeiert. Toll, super! Bald wirst du wieder durchatmen können, das ist ein Wahnsinns-Gefühl! Und das Treppensteigen erst, irre! Nichts davon hatte gestimmt. Jeder hatte einen blöden Tip parat, meistens Akupunktur oder Hypnose. Jetzt dagegen, wo alles viel ärger geworden ist, erwarten alle, dass sie zur Tagesordnung übergeht und nicht mehr von dem langweiligen Thema anfängt. Jetzt meidet sie schon beinahe die eigentlich lieben Kollegen.

Seltsam ist, dass jeder sagt, Rauchen sei total gefährlich. Aber beim Aufhören hilft die Gesellschaft dem Raucher nicht. Jeder Junkie kriegt mehr Hilfe, also Methadon-Programme und Mitgefühl und so weiter. Die Maria muss es allein durchstehen. Nachts steht sie auf, geht in die Küche und liest. Nicht mehr Sartre, Camus und Marlene Streeruwitz wie früher, sondern die weggeworfene Kronen Zeitung der Nachbarin. An Schlaf ist sowieso nicht mehr zu denken.

Heute hat die Maria zum ersten Mal überlegt, wieder anzufangen. Sie fragte mich nach meiner Meinung. Ich sah die zerlesene Zeitung, die Akupunkturnadeln in der Nase und den Ohrwascheln, dachte an den Termin beim Hypnotiseur – und schwieg betroffen.

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