Der Thommy

Joachim Lottmann

Joachim Lottmann

Jeder fühlt sich gemeint, wenn ihn das grundgute, besorgte Gesicht des Thommy ansieht.

von Joachim Lottmann

über den geliebten Wirt

Wenn am Ende der Thommy singt – ist es wie Weihnachten und Silvester auf einmal. Das ist das stille Wissen aller Gäste in meinem Stammlokal. Nein, eigentlich singt er ja gar nicht, unser geliebter Wirt. Da kann man hundert Mal kommen, und man hört ihn nicht. Aber wer es doch einmal erlebt hat, und sei es vor Jahren, der sehnt sich nach dieser Stunde zurück und will sie noch einmal haben. Bis dahin sitzt man da und lässt sich von diesem großen Bär aus Kroatien bedienen, nein verwöhnen.Der Thommy ist bestimmt der schnellste Bär der Welt, strahlt aber das Gegenteil aus, nämlich Ruhe und Aufmerksamkeit. Liebevoll ruht sein Auge auf jedem seiner Bärenkinder im Lokal. Stellt er ihnen das Bier, den Teller mit Wiener Schnitzel, die Runde Averna vor die Nase, klopft er ihnen dabei behutsam auf den Rücken. Jeder fühlt sich gemeint, wenn ihn das grundgute, besorgte Gesicht des Thommy ansieht. Und so ist es ja auch. Der Mann vergisst keinen Gast, den er jemals bedient hat. Er hat sowieso das absolute Gedächtnis. Alle Rechnungen stellt er im Kopf aus. Er weiß, was jeder der 150 Freunde seit sieben Stunden bestellt hat. Er hat für jeden die Summe bis auf den Cent im Kopf. Und sagt dann doch einen viel kleineren Betrag, wenn er eine Verlegenheit spürt. Das Verrückteste jedoch ist Folgendes: Der Thommy ist schüchtern. Deswegen singt er nämlich nicht. Er hat die Verantwortung für seine Bärenkindergäste, er muss Autorität bleiben. Wer singt, macht sich angreifbar.

An guten Tagen sperrt er schon um zwei Uhr zu, und da alle bleiben, trinkt er dann vielleicht selbst mit. Und an solchen sehr guten Tagen, wenn alles verschmilzt, in der letzten Viertelstunde vor dem Löschen der Lichter, ertönt er plötzlich, wie aus dem Nichts, dieser stolze Heldengesang. Es sind wohl patriotische Lieder seiner Heimat. Man versteht sie nicht. Aber alles andere mit einemmal. 

joachim.lottmann@kurier.at

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