Genialität ist relativ, lernen kann jeder
Es ist legitim, mehr zu wollen, als die Natur für einen vorgesehen hat
Ja, das ist definitiv ein Hase am Titelbild der aktuellen Karrieren-Ausgabe. Nein, er trägt keine Gummistiefel an den Hinterläufen, wie der Kollege lästert. Und nochmals ja: Ich bin vermutlich auf dem Zeichenniveau einer Vierjährigen stehen geblieben. Das sah ich immer als Manko, konnte ich aber auch nicht ändern. Oder hatte nie die Muße, es ernsthaft zu verbessern. Gestört hat mich das bis vor ein paar Wochen massiv, bis ein Freund sagte: „Das passt doch, dass deine Zeichenkünste auf diesem Niveau stehen geblieben sind. Deshalb kannst du heute etwas anderes gut.“
Seither bin ich mit gummigestiefelten Hasen versöhnt.
Lernen ist unsere größte Chance
Die Sache mit den Talenten ist tröstlich: Zu einer hohen Begabung darf man gratulieren, Talent ist viel wert – aber es ist noch lange keine Erfolgsgarantie im Leben. Forscher sagen, hohe Begabungen können sogar ins Gegenteil ausschlagen: Das Wissen, überdurchschnittlich talentiert zu sein, kann das Risiko des Scheiterns erhöhen, weil sich der Begabte bequem auf dem Talent ausruht, anstatt es zu entwickeln, weil Fleiß oft fehlt.
Andererseits kann man aus einer kleinen Anlage viel machen, wenn man will. Und auch bereit ist, zu investieren. Das kann – bis zu einem gewissen Grad – wunderbar funktionieren: weil der Mensch sich weiterentwickeln kann, weil er wahrnehmen, üben und lernen kann. Wir können gescheiter werden, das ist unsere größte Chance.
Weshalb es legitim ist, für sein Leben viel mehr zu wollen, als die Lotterie der Natur für uns vorgesehen hat. Wir können über Gene, Familie, Förderung, Schule, Vorbilder und Glück hinauswachsen. Zugegeben: Das ist eine Menge Arbeit und macht wahrscheinlich auch noch kein Genie aus uns. Aber es ist dann umso erfüllender, wenn der Aufschlag endlich zum As wird oder die erste Melodie aus dem Klavier strömt.
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