Den Freiraum nehme ich mir (nicht)

Sandra Baierl

Sandra Baierl

Es ist gerade ziemlich stressig...

von Mag. Sandra Baierl

über die Always-on-Gesellschaft

"Es ist gerade ziemlich stressig" – ein Befund, der viel beschäftigten Karrieremenschen leicht und gerne über die Lippen geht. Sie können aus der Stressspirale nicht ausbrechen, müssen immer dranbleiben in einer Wirtschaftswelt, die keine Schwächen und Ausfälle duldet. Zum anderen signalisiert dieser Dauerzustand aber auch so wunderbar: ich bin beschäftigt, gefragt, total wichtig.

Wo ist der Aus-Knopf?

Dabei wollte man eine Zeit lang glauben, dass die technischen Errungenschaften, die Besinnung auf Work-Life-Balance und flexible Arbeitsmodelle eine Entspannung bringen würden. Immerhin: Wir leben länger, wir reisen und kommunizieren schneller, können unabhängig von Zeit und Ort arbeiten, drehen am Effizienz-Rad, so gut es geht. Aber schafft das Freiräume? Können wir die gewonnene Zeit genießen, mal auf der Parkbank sitzen und dabei absolut nichts tun?

Wir können es nicht. Weil es sich in der Always-on-Gesellschaft nicht schickt, nicht produktiv zu sein. Weil es zum Wirtschaftssystem dazu gehört, dass alles immer schneller wird – und wir dazu. Wer eine entschleunigte Gesellschaft fordert, fordert in gewisser Weise auch das Abwenden von der Marktwirtschaft (total romantische Idee, eigentlich). Weshalb der Aus-Knopf nicht gedrückt werden kann, das Smartphone auch nachts neben dem Bett liegt und die Gedanken auch in der Freizeit – wann ist die genau? – im Job hängen.

Fortschritt und Beschleunigung wären noch kein Fluch. Unser Getriebensein und Niemalsstehenbleiben sind es schon. Uns fehlt die Gelassenheit, die Distanz, die Relativierung. Deshalb geraten wir in emotionale Schieflage, hängen ohne Ausgleich im Job und versäumen gestresst das Leben.

"Sanna! Handy weg!", sagt die zweijährige Nichte letztens beim Essen. Offenbar weiß sie noch, was wann im Leben wichtig ist.

Kommentare