wien Mitte: Spätwinterlicher Lagerkoller

wien MITTE: Weihnachtswunder
Ernst Molden über die Verhaltensweisen im Winter.

Es gibt eine saisonale Krankheit namens Der Spätwinterliche Lagerkoller. Es gibt diese Krankheit bei uns und überhaupt in der Welt. Wenn es zu lange schiach war. Wenn man zu lange nicht draußen war, weil man nicht hinausgehen wollte oder konnte oder glaubte, zu wenig Kraft dafür zu haben. In unserer Familie bildet Der Spätwinterliche Lagerkoller verschiedene Verhaltensweisen aus. Ich einerseits ziehe den Zeitpunkt des Feuermachens im Kamin täglich ein Stück vor, strecke mich ächzend vor dem prasselnden Flammenwinkerl aus, eine kleine Westerngitarre in Griffweite, kann mich aber nicht entspannen, weil die Brut andererseits ihren eigenen Spätwinterlichen Lagerkoller auslebt, das "Unausgetobte", wie die Liebste in ihrer Weisheit sagt. Sprich: teils verhaltener, teils offen ausbrechender Aggro. Dann heißt es: hinaus. Hinaus in die vermeintliche Unwirtlichkeit. Hinaus in die Kälte. Hinaus in das Land, in dem man "bei dem Wetter eh nix machen kann".

Von mir aus: hinaus in den Tod. Aber hinaus.

 

So brachen wir, laut schreienden Protest von drei Kindern niederbügelnd, in letzter Zeit zu sehr schönen Ausflügen auf. So waren wir in Kritzendorf. Kritzendorf im Spätwinter! Wir standen erst am stahlgrauen, angeschwollenen und respektgebietend schnellen Donaustrom und malten uns aus, wie groß die Flut wäre, wenn all der westliche Schnee plötzlich zu schmelzen begänne. Dann marschierten wir los. Schnell, atemlos, rotgesichtig. Erst flussabwärts zur Rollfähre, dann über Forstwege wieder retour. Im Auwald stießen wir auf einen riesenhaften Kahlschlag, und ich klaubte ein Stück Holz auf. Es lag zwischen Spänen auf dem Weg und erinnerte an ein enormes Wurstradl, statt von einer Wurst von einem Baum gesäbelt. Wir bringen öfters Klaubholz mit heim, manchmal verbrennen wir’s, manchmal ist es zu groß dafür, manchmal zu schön. Drum stehen gestaltenartige Wurzeln und Äste auf dem Kaminsims. Mein Kritzendorfer Wurstradl hätte ich gern verheizt, aber es erwies sich als zu groß, und noch immer besitze ich nur meine kleine, halbhiniche Eisensäge. Ächzend streckte ich mich vor dem Feuer aus, die Anschaffung eines Fuchsschwanzes erwägend. Das Wunder: Meine Kinder waren jetzt so entspannt, dass sie mich meinen Gedanken überließen.

ernst. molden(at)kurier.at

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