wien mitte: Gewand

wien mitte: Gewand
Ernst Molden über einen Besuch im schwedischen Modehaus.

In dieser Familie pflegen wir ein schönes, irgendwie altertümliches Wort für Bekleidung, wir sagen: Gewand. Nicht Kleider, Klamotten, Glumpert oder Zeug, sondern: Gewand. Ich habe darüber nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass wir wahrscheinlich einst, als die Kinder ganz klein waren, wohl beinahe gesagt hätten "Schmeiß dein G'wand nicht immer irgendwohin", hätten wir uns nicht schnell zum Zweck der Verfeinerung auf "Gewand" korrigiert. Jetzt sagen wir es alle immer. Und die Buben, die in den Ferien bei der Großmutter sind, verblüffen diese mit der schnitzleresken morgendlichen Bitte: "Gibst du mir bitte ein Gewand?" Der Herbst also erreichte die Liebste und mich, und wir bemerkten, dass wir wenn schon nicht nackt, so doch schlecht ausgerüstet waren. Wir besorgten uns neues Gewand. Da uns die Neigung und das harte Leben der letzten Jahre wenigstens schlank erhalten haben, dürfen wir uns dem gängigen Trend zur Röhrlhose anschließen. Die Liebste und ich gingen also zum schwedischen Modehaus in die Kärntner und besorgten uns welche in Schnürlsamt und Jeansstoff. Im schwedischen Modehaus, wurscht, ob auf Kärntner, Mariahilfer oder Graben, schmeiße ich gern die Nerven weg. Die sauerstoffarme Luft, das abgehangene Geschweißel bei den Kabinen, die gezupften Augenbrauen der Mitarbeiter - all das löst in mir Beklemmungsschübe aus, ich weiß, ich habe genau siebzehn Minuten, um das Gesuchte zu finden, zu probieren und zu bezahlen, dann muss ich raus. Aber es ging sich aus. Das Gewand für den Oberleib ließ sich geschmeidiger erwerben. Die Liebste und ich haben nämlich aus schlichter Erdberger Nachbarschaft die Arena wieder entdeckt - wo wir in den Neunzigern händchenhaltend Lou Reed und Patti Smith sahen, da sind wir jetzt wieder, und zwar in acht Minuten mit dem Radl. Und so kauften wir uns nach Auftritten von Martin Sexton, Donavon Frankenreiter und Kitty, Daisy & Lewis schließlich Leiberln der jeweiligen Künstler. In ihnen und unseren Röhrlhosen erleben wir jetzt das Kürzerwerden der Tage. Meinen Schnurrbart habe ich auch abrasiert. Der Liebsten zuliebe, und zu den Röhrln passt es auch besser. Herbst, das ist Altern im neuen Gewand. ernst.molden(at)kurier.at

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