wien MITTE: Barfuß im Frühling

wien MITTE: Weihnachtswunder
Hoch ist die Empfindlichkeit der weichen Winterferse. Man fühlt das harte, schwarze Kastanienkugerl, das den Winter überdauert hat, man hört und spürt das Zweigerl unter dem Tritt brechen, als breche man selbst.

Bester Laune ist die Drittgeborene, unsere Taferlklasslerin, heute aus dem Haus gegangen, weil die 1 A gemeinsam in die Lobau zieht, Wintermist wegräumen. Sie erinnern sich, wie die Tochter mir noch vor wenigen Wochen vor einem Ausflug ein "Ich hasse die Lobau" entgegenschleuderte? Das ist vorbei, denn wir haben an der Naturliebe unserer Brut weitergear­beitet. Unsere grimmigen, spätwinterlichen Trotzaus­flüge sind allmählich in zart tastende Vorfrühlingsausflüge übergegangen. Wir waren etwa ein zweites Mal in der Lobau, zur Schneeglöckerlzeit. Wir haben dort außer den Schneeglöckerln einen über die Silber­pappeln dahingleitenden Seeadler gesehen und außer­dem dieses leicht obszöne Bild, bei dem sich in der Au grüne Knosperln aus dem grauen Gestrüpp schieben, wie die Erektion eines Hundes aus dem Fell.

Dann waren wir im Schwarzenbergpark, noch eine Spur zu früh für Bärlauch und Grasfroschlaich, aber bereits mit den Gerüchen des unrastig anschiebenden Lenzes. Und schließlich waren wir vergangenen Sonntag im Prater, auf der Lusthauswiese, und da war der Bann endlich gebrochen. Hunderte Wiener taumelten ungläubig durchs kupferne Sonnengetänzel. Über 20 Grad wurden gemessen, sodass ich mich des Überhemdes entledigte wie auch der Schuhe und der Socken. Im Unterleiberl und baren Fußes stieg ich zum Lusthauswasser ab. Es ist ja eine alljährliche Primärerfahrung, was der bare Fuß beim ersten Ausgang so erspürt. Hoch ist die Empfindlichkeit der weichen Winterferse. Man fühlt das harte, schwarze Kastanienkugerl, das den Winter überdauert hat, man hört und spürt das Zweigerl unter dem Tritt brechen, als breche man selbst. Der klamme Gatsch des Aubodens macht Schüsseln unter der sensiblen Sohle, und alle diese Erfahrungen gilt es zu speichern unter "glückselig", ehe die Hornhaut des Barfußerten sich bildet und alles wieder banal macht. Die Drittgeborene, die als einziges meiner Kinder das zoologische Interesse ihres Vaters übernommen hat, narrt schwarzwinter­liche Teichfrösche mit einem Schilfstengel. Die Lurche sind so hungrig, dass sie nach dem Halm schnappen.

Mäderl, denke ich, am Ende des Sommers wirst du sagen: Ich liebe die Lobau! Ich liebe den Prater und alle anderen Donauauen der Welt!

ernst.molden(at)kurier.at

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