Verwirrter Geist

wien MITTE: Weihnachtswunder
wien MITTE: Vorgewittrige Stimmung herrschte. Ich trank ein Cola, dann noch eins. Ich rauchte. Aus den Lautsprechern der Bootsvermietung drang das Volkslied "Die Muschi von der Uschi".

Wenn die Drittgeborene Geburtstag hat, feiern wir draußen, auf Decken, unter Bäumen. Einst waren wir im Stadtpark, heuer ließen wir uns erstmals auf der Jesuitenwiese nieder. Zu den Festen gehören Schnitzeljagden, von mir erdacht und durchgeführt. Ich würde diese Schnitzeljagden lieber raffiniert und analytisch erdenken und ausführen, wie Frage und Antwort bei Sherlock Holmes. Da ich aber nicht Conan Doyle, sondern nur ich selbst bin, geraten die Jagden im Ablauf dann immer ein bisschen surreal und unlogisch verhatscht. Dennoch führen sie Jahr für Jahr zum Ziel, einem von einem mysteriösen Wichtelmanderl gestifteten Schatz. Im Prater hatte ich noch nie geschnitzelt. Die Weite des Areals verwirrte meinen Geist ebenso wie die 34 Grad, die es hatte. Den Kindern sagte ich: Ich gehe da nach hinten, wo das Manderl mir den Schatz gibt. Bin ich in 20 Minuten nicht zurück, müsst ihr mich suchen. "Da nach hinten" war die benachbarte Schüttelwiese. Das Wichtelmanderl aber lockte mich weiter, in den dichten Wald zum Gedenkstein für den toten Feuerwehrmann. Ich schrieb mit Kreide eine enigma­tische Botschaft auf eine Mauer und ging mit. Vom Gedenkstein wollte das Manderl zur Liliput-Endstation, ich schrieb wieder etwas Kryptisches und folgte. Dann strebte der sekkante Wichtel zu jenem Würstelstand am Stadionparkplatz, der den herrlichen Namen "Sportler-Oase" trägt. Ich schrieb: Bin dort, wo sich Wiener und Frankfurter beim Sport treffen. Endstation war der Gastgarten der Bootsvermietung Reichl am Heu­stadlwasser. Dort konnte ich vor lauter Hitzepsycho nicht mehr sagen, ob die Route eigentlich von mir oder wirklich von einem perfiden, über mein Hirn gebietenden Gnom erfunden worden war. Vorgewittrige Stimmung herrschte. Ich trank ein Cola, dann noch eins. Ich rauchte. Aus den Lautsprechern der Bootsvermietung drang das Volkslied "Die Muschi von der Uschi". Die Kinder werden mich nie finden, dachte ich plötzlich, während ich das grünschillernde Wasser betrachtete. Sie haben sich verirrt, längst, vielleicht schon beim Stein des toten Feuerwehrmannes. Aber da waren sie. Energetisch, gierig, lustig. Sie entrissen mir das Sackerl mit dem Schatz. Wasserpistolen für alle. Den Rest des Tages fetzten wir uns damit gegenseitig ab.

ernst.molden(at)kurier.at

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