Strombad

wien MITTE: Weihnachtswunder
wien MITTE: Wir sahen diese Menschen sich ab­mühen und hörten sie stöhnen. Und wussten auf einmal, warum es uns so gut geht ...

Fronleichnam. Der Tag ist noch kühl, aber seine leicht geröteten Wangen zeigen, dass er schwanger ist mit kommender Hitze. Der Leichenwagen schnurrt stromaufwärts. Wir haben uns auf Kritzi geeignet. Schnell, konfrontationslos, in seltenem innerfamiliären Konsens. Ich fahre seit 25 Jahren ins Strombad Kritzendorf. Ich habe den Fluss hier Buchten ausfressen und Sandbänke aufschütten sehen. Ich habe Menschen in die Siedlung ziehen und nach zwei, drei Hochwässern wieder wegziehen sehen. Ich habe die Hochwässer selbst gesehen, stinkende, das Menschenwerk zerstörende Gewalten. Und dazwischen die besten österreichischen Sommertage meines Lebens. Selbst war ich nie ein Siedler. Immer nur so ein Tageszigeuner, der seine Decke entfaltet, den Tag pflückt und zurückhuscht in die große Stadt. Aber gerade ohne diese ultimative Involviertheit glaube ich, einen besonnenen Überblick zu haben, über ein Vierteljahrhundert Kritzendorf. Das Strombad, das sich auf geheimnisvolle Weise die Noblesse seiner Frühzeit vom Anfang des 20. Jahrhunderts bewahrt hat, geht durch Phasen. Manchmal zeigt es sich feist, manchmal zerrauft. Manchmal ist die Dynamik auf der Wiese prickelnd, manchmal ist sie fad, wobei beide Kritzen­dorfer Zustände (wie alle Kritzendorfer Zustände) am Ende zur Erholung führen. Nach dem heurigen Fronleichnamstag glauben die Liebste und ich prophezeien zu können: Es wird ein gutes Kritzendorfer Jahr! Ja, warum? Halb bis gar nicht verabredet trafen wir auf der Wiese auf genau die richtigen Bekannten. Aber das war es nicht. Auch das neue, schon im Vorjahr frisch übernommene Donaurestaurant mit seinem urguten Essen war es nicht. Im Nachmittagsgold, auf der Wiese fiel es uns dann ein. Wir waren von lauter süßen, jungen, total erschöpften Kleinfamilien umge­ben, mit Kindern so im Alter zwischen sechs Monaten und zwei Jahren. Wir sahen diese Menschen sich ab­mühen und hörten sie stöhnen. Und wussten auf einmal, warum es uns so gut geht. Unsere Kinder sind größer! Ja, teils sogar groß! Alle können sie schwimmen wie kleine Lurche. Und wenn man sagt: Da, kaufts euch ein Eis!, dann hat man zehn Minuten Ruhe. Kann ein bisschen schmusen, Erwachsenensachen reden und baden. Kritzendorf ist schön. Das Leben auch.

ernst.molden(at)kurier.at

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