Patagonia-Radl
Fahrradtandler Kohn von vis à vis hat mir zu nachbarschaftlichem Preis mein Patagonia-Radl wieder saisonfähig gemacht. Das ist angesichts des Lenzes eine mich beruhigende Tat. Es ist nicht ausgeschlossen, dass ich es hier schon erwähnt habe: Jenes Patagonia-Radl in Weinrot ist eine Überlassung meines aus Wien fortgezogenen französischen Schwagers, deshalb bleibe ich ihm Jahr um Jahr treu. Das Rad strahlt, obgleich ein deutsches Fabrikat, einen Hauch von Paris für mich aus, etwas Frühlingshaftes, obgleich es selbst, tja, klar im Herbst steht. Der harte Winter im Lichthof hat mein Radl nicht jünger werden lassen. Kohn hat neue Pedale, Lamperln sowie eine Glocke montiert. Sag ich: "Bitte keine zupfige Bimbimbim-Glocke, sondern eine Rrrrrrinnng-Glocke, die man einmal lange und befriedigend durchdrückt". Sagt er: "I waaß scho." Das Patagonia hat eine komische Schaltung in der Achse des hinteren Rades, wo nur noch der schwere und der leichte Gang gehen, nicht aber der Allrounder in der Mitte. Kohn sagt, da müsse man wohl eine neue Schaltung einbauen, das sei bei diesem Typus, aber na ja ... Schmerzerfüllt ob der antizipierten Schwierigkeit der Reparatur verzieht sich sein Gesicht.
Wir lassen den Umbau bleiben. Lieber fahre ich los, noch immer früher Vormittag, in den perlend grünen Prater, wo sich die täglich weiter ausschlagenden Kastanien ihre Äste freundschaftlich wie Blätterhände reichen, über die Alleen hin. Die Amserln machen Dulliöh, der Teichfrosch singt mit sich erwärmender Stimme am Saum des Heustadlwassers. Der Frühling ist hier eine stille, noch kühle Andacht.
Ich trage Hut und Schwarz. Unter mir bebt das Patagonia-Radl. Ich biege in die Hauptallee ein. Weit hinten blinkt ein Stückerl Gelb vom Lusthaus. Der Fahrtwind auf der Haut ist von kosmetischer Qualität. Mein Sieg über den Winter 2011/2012 macht sich wie eine Droge in mir breit. Mit der leisen Gefährlichkeit des apokalyptischen Reiters nähere ich mich einer Herde Nordic-Walkerinnnen, klicklick, weiß gekleidet vor mir in der Allee. Kurz hinter ihnen weihe ich die Kohn’sche Glocke ein, ein langes, befriedigendes Durchdrücken, die Ladies stieben auseinander.
Lasset uns singen, denke ich, tanzen und springen.
ernst.molden(at)kurier.at
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