Mut statt Wut
Das schöne Magazin, das Sie in diesem Augenblick in Händen halten, brachte vor zwei Wochen einen interessanten Bericht über den Übertritt von Sommerferien in den Alltag. Diese Transition nämlich sei ein heikler Schritt, und unter anderem solle man sich keinesfalls aufregen. Tja, das geht leider nicht. Kaum waren die Ferien aus, musste ich mich aufregen. Und zwar über jene Plakate, die schon im Vorsommer da hingen und jetzt im Nachsommer immer noch da hängen – im Vorsommer muss ich sie ausgeblendet haben, erschöpft wie ich war, hätte die Aufregung mein Hinscheiden bedeutet. Mut statt Wut, heißt es auf allen diesen Plakaten und als Testimonials dienen unter anderem eine Bankiersgattin und Opernballmutti, ein ORF-Generalintendant a.D. sowie ein Groß-Caterer und Innenstadtwirt. Okay, und was soll uns allen das jetzt sagen? Wenn du nur mutig bist, liebe alleinerziehende Mami aus dem Prekariat, dann tut es nicht mehr weh, dass du nicht auf dem Opernball sein kannst? Wenn du nur mutig bist, lieber Lehrstellensuchender, dann schaffst du’s bis ins Fernsehen, mindestens in eine Castingshow? Wenn du nur mutig bist, lieber altersbedingt unvermittelbarer Langzeitarbeitsloser, dann lad ich dich am Stephansplatz auf ein Schnitzerl ein? Diese Plakate haben in meinem Grauslo-Ranking die winterliche Serie von Manfred „Verleihnix“ Juracka klar überholt. Als Gegengift lese ich übrigens Rainer Krispels als Punk-Roman getarnte Punk-Autobiografie „Der Sommer als Joe Strummer kam“. In diesem Buch, das die Sozialisation eines Linzer Hardcore-Musikers und -Dichters, beschreibt, geht es um Musik, um Freundschaft, um Liebe und um (schwere) Gitarrenverstärker. Es geht um den Triumph, als Linzer Punkband vor No Means No in Polen aufzutreten. Und es geht auch undvornehmlich um Wut. Um Wut, die nichts gemein hat mit dem Ressentiment und der Hosentaschenfaust des Stammtisches. Um Wut, die vielmehr eine explosive und fruchtbare Antipathie auf eben den Stammtisch, aber auch den ganzen anderen Schas bedeutet. Eine Wut, die in einem tendenziell geduckten Land zu artikulieren, an sich schon Mut verlangt. Seite für Seite möchte ich diesen Roman über diese komischen Plakate kleistern. So. Fertig. Die Ferien sind aus, ich habe mich aufgeregt, aber es geht mir gut.
ernst. molden(at)kurier.at
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