Herbstlich

wien MITTE: Weihnachtswunder
wien MITTE: Ernst Molden über die Fügung ins prächtige Bukett der aktuellen Jahres­zeit.

Das aktuelle wohlwollende Eigenschaftswort in unserem Haushalt lautet "herbstlich". Wie das in wenigen Wochen wieder aufkommende wohlwollende "weihnachtlich" benützen wir es saisonal-affirmativ. Das bedeutet, wir adeln Menschen, Dinge und Zustände, indem wir sie ins prächtige Bukett der Jahres­zeit einfügen. Also, zum Beispiel: Ein Kind bringt eine Zeichnung aus der Schule mit. Wurscht, was drauf ist, ein bisschen Braun sollte dabei sein, schon kann man sagen: Sehr schön, diese herbstlichen Farben! Oder: Die Liebste kommt heim. Sag ich: Ich hab Kürbissuppe gekocht. Jö, sagt sie und lächelt: sehr herbstlich! Aber auch die Fleischlaberln, mit denen sie anderntags nachlegte, ließen sich aus meiner Sicht als herbstlich rezipieren, und sei es der krispen, braunen Zwieberln am Püree wegen. Sowieso total herbstlich ist die kleine Westerngitarre, die ich mir selbst zum Geburtstag geschenkt hab, Mahagoni, dunkel, wie ein gefallenes Oktoberblatt unterm Novembertau. Und als Soundtrack zu all diesen Feelings rennt bei uns "Delta Time" rauf und runter.

Diese total herrliche und total herbstliche Platte von Hans Theessink und Terry Evans stampft und tänzelt dampfend durch die Herbststürme, hält unsere Laune hoch und unseren Beat steady. Aufge­nommen haben sie es in Kalifornien. Arnold McCuller und Willie Greene Jr. singen da brunnentiefe Harmonien und, ja, echt, Ry Cooder, spielt jaulende elektrische Slides dazu, Amen. Ich war sechzehn, als ich in einer Tiroler Handelsakademie mein erstes Theessink-Konzert besuchte. Vier Jahre vorher hatte ich Beatles gehört, und gedacht, deswegen müsse ich jetzt Gitarre spielen. Diesmal hörte ich Theessink und dachte gottergeben, dass ich trotzdem weiter Gitarre spielen werde. Seine Sounds waren sowas wie eine niemals zu erreichende Verheißung, staubtrockene, urcoole Licks, dazu ein stampfender linker Fuß, wie der Welten­puls, unbeirrbar.

In den Jahrzehnten, die inzwischen Richtung Schwarzes Meer getrieben sind, hat Hans Theessink zwischen seinen Weltreisen immer an einem Ottakringer Waldrand gelebt, der Liebe wegen, eh, aber doch auch als Beweis, dass Wien eine Stadt für Blues und Bluesköpfe ist. Ich werde Hendlsuppe kochen, überlege ich, und komme zu dem Schluss, dass das nicht unherbstlich wäre.

ernst. molden(at)kurier.at

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