Falscher Frühling
Jetzt aber zwinkerte die Sonne durch die Sprießeln, der Föhnsturm rüttelte an den Geländern und an dem Schild mit der Aufschrift „Brunzen verboten!
Und weiter im falschen Frühling: Am Tag, nachdem ich dessen Kommen bemerkt hatte, fuhr ich bereits erstmals mit dem Radl aus. Die Ausfahrt ging wenig überraschend, aber angemessen über den Erdberger Steg in den Prater.
Das Patagonia-Radl war seit etwa dem Nikolotag unberührt im Lichthof gestanden und fast zur Gänze eingeschneit gewesen. Aber nun war es stoisch wieder ausgeapert wie ein steinzeitliches Artefakt. Und dank des Kohnschen Service vom Herbst diente es mir bei unserer ersten 13er-Ausfahrt in vollkommener Reibungslosigkeit. Ich weiß nicht genau, warum ich links statt wie sonst rechts in die Hauptallee einbog. Womöglich fürchtete ich jenen „gelben Schnee“ im grünen Prater des Spätwinters, den die leiwande Dichterin Julya Rabinowich unlängst so souverän im Standard beschrieben hat, und über den schon Frank Zappa wusste: „Watch out where the huskies go / don’t you eat the yellow snow!“ Jedenfalls fuhr ich nach links und landete im Wurschtlprater, an der Kreuzung Eduard-Lang-Weg/Karl-Kolarik-Weg.
Zwischen der fest versperrten alten Hochschaubahn mit dem lullenden Zwerg und dem wintertoten Schweizer- haus fuhr ich hindurch, über den Calafattiplatz erreichte ich eines der großen Spukhäuser meiner Kindheit: den Rutschturm, der heuer seinen 100. Geburtstag feiert. Wahnsinn, dachte ich, im Vorjahr Woody Guthrie, heuer der Rutschturm, ein Centennium nach dem anderen, und wie alt bin ich?Den Rutschturm empfand ich schon mit vier als spooky. Meine Mutter hatte mir die Geschichte erzählt, wonach ein rutschendes Kind von einem herausstehenden Schiefer durchbohrt worden sei. Und obwohl die Rutschfläche schon damals aus Kunststoff war, und obwohl ungezählte Kinder direkt neben meiner Angst sicher am Fuß des Turms landeten, rutschte ich nie. Jetzt aber zwinkerte die Sonne durch die Sprießeln, der Föhnsturm rüttelte an den Geländern und an dem Schild mit der Aufschrift „Brunzen verboten!“.
Der freundlich frischgestrichene Turm lächelte auf mich herab als wollte er mit Sartre sagen: „Die Hölle, das sind die anderen.“ In diesem Jahr, nahm ich mir vor, da würde ich erstmals rutschen.
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