Duplo-Gebäude

wien MITTE: Weihnachtswunder
wien MITTE: "Bauwerks­ertüchtigung!" stand da, mit Rufzeichen sogar. Das war ein Wort, das mir über die Maßen gefiel, gerade in seiner deutschen, technokratischen Rätselhaftigkeit. Was meinte es?

Als die Liebste, die Brut und ich im Spätwinter unsere bislang letzte Tirolfahrt unternahmen, sahen wir im Deutschen Eck ein deutsches Verkehsschild, das uns zu denken gab. Es war vom Typus Gefahrenzeichen: "Bauwerksertüchtigung!" stand da, mit Rufzeichen sogar. Das war ein Wort, das mir über die Maßen gefiel, gerade in seiner deutschen, technokratischen Rätselhaftigkeit. Was meinte es? Wurde hier ein Bauwerk, ein mürbes, schwächelndes, von Menschenhand ertüchtigt? Oder ertüchtigten sich Menschen mit Hilfe eines Bauwerks, etwa durch Fassadenklettern? Und, vor allem: Wovon ging die Gefahr aus?

Nach Entdeckung des Gefahrenzeichens hielten wir die Augen offen, aber wir sahen nichts, was damit zu tun haben konnte: Kein Bauwerk, keine Ertüchtigung, keine Gefahr. Danach ging immer wieder der Plan, etwas über dieses Wort zu schreiben, durch mein Hirn. Und jetzt, Monate später, weiß ich auch was: Das große Hundstrümmerl von Wien Mitte ist, äußerlich, fertig. Im profil erschien vor ein paar Wochen ein Essay von Alexander Bartl, in dem dieser das "städtebauliche Desaster" beklagt. Das hat mich beruhigt, dass auch Experten hier zu weinen beginnen und nicht nur Urbandilettanten wie ich. "Niemand, der auf seinen guten Ruf bedacht ist", schreibt Bartl, "wird ernsthaft behaupten, die Anlage sei die neue Zierde der Stadt". Das Bauwerk sei für ein Hochhaus zu niedrig und zu plump, für ein normales Haus zu hoch und zu fett, und es ginge in nichts eine Beziehung zu seiner Umgebung ein. Und man weiß auch nicht, was man dran verbessern kann. Wäre Wien Mitte ein Duplo-Gebäude, aus der Zeit, in der der Erstgeborene noch täglich große Duplo-Gebäude schuf, hätte er, der Schöpfer, in einer Mischung aus Missmut und Nachdenklichkeit das Wort "Bumm" ausgesprochen und das Bauwerk mit einem wohgesetzten Kick atomisiert. Das wäre auch eine Idee: Noch ehe wir die armen Betroffenen hier zum täglichen Büro-Hackeln und Mall-Shoppen einlassen, tragen wir das neue Wien Mitte in einem riesigen Wiener Volksfest miteinander ab. Nachher stellen wir am Boden einen kleinen Gleichen-Baum auf und trinken ein Viertel. Vom Rochushügerl sähen wir wieder den Kahlenberg. Bauwerksertüchtigung, völlig gefahrenlos.

ernst.molden(at)kurier.at

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