Drittgeborene

wien MITTE: Weihnachtswunder
wien MITTE: Die Drittgeborene ist zufrieden, schon vor dem Erwerb des Puppen-Freizeithäuschens, und geht willig mit mir ins Plattengeschäft, den Jack White kaufen.

Die Drittgeborene und ich machen zwei Mal im Jahr einen Ausgang in die Stadt, den wir lieben, weil er nur uns gehört. Bei der Frühjahrsausgabe dieses Ausganges, die stattgefunden hat, standen das Gewandgeschäft am Stephansplatz, der Eissalon in der Tuchlauben und ein Spielzeuggeschäft auf unserer To-do-Liste.

Letzteres, weil die Drittgeborene gegenüber ihren Brüdern, die dauernd die unseligen Panini-Pickerln kriegen, so etwas wie ein moralisches Guthaben angehäuft hat und auch "etwas" bekommen sollte. Es ist Samstag­vor­mittag. Ich, der ich knappe zehn Jahre meines Lebens im Ersten gewohnt habe, sehe mich vor der Aufgabe, meiner klugen Tochter, die die seltsamen Seiten des Menschenlebens immer sofort erkennt und hinterfragt, diesen Ersten Bezirk zu erklären.

Warum sind in diesem Bezirk so viele schöne Häuser? Weil das einmal der wichtigste Bezirk war, früher sogar der einzige. Was sind Touristen? Strangers in a strange Land, zitiere ich Dylan. Warum immer so viele auf einmal? Um das Strange-Sein besser aushalten zu können. Wann simma endlich im Gewandgeschäft? Jetzt. Gleich. Im Gewand­geschäft stelle ich befriedigt fest, dass meine Tochter eine zügige Auswählerin von Gewand ist, darin ihrem Vater gleich. Sie sagt: Ich habe Sommerkleider, brauche aber mehr. Wir kaufen ein schwarzes mit Blumerln, auf dem man Flecken kaum sehen wird, ein weißes, auf dem man jedes Fuzerl sehen wird, und ein kleines blaues Fetzerl fürs Baden­gehen. Dann fallen wir in den kühlen, gnädigen Schanigarten der Tuchlauben ein. Da ist es noch vormittäglich still, angenehme Lederpolster seufzen unter uns, ich bestelle ein Glas Nougat-Eis. Warum nimmst du nur eine Sorte, Papa? – Weil’s diese Sorte nur hier gibt, und weil sie so gut ist. Ich singe noch das Lied des Walderdbeer-Eises, der zweiten exklusiven Tuchlauben-Sorte, die es dann im Sommer geben wird. Die Drittgeborene ist zufrieden, schon vor dem Erwerb des Puppen-Freizeithäuschens, und geht willig mit mir ins Plattengeschäft, den Jack White kaufen. Auf dem Cover sieht man Jack mit einem Truthahngeier auf der Schulter. Papa, warum hat der einen Geier auf der Schulter? Weil er oag ist, sage ich. Wir sind zufrieden und ganz bei uns. Vor uns teilen sich Japaner und Italiener wie das Rote Meer.

ernst.molden(at)kurier.at

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