Daheim im August - Teil 4
Und fort aus Döbling. Die alte Heimat versinkt im Dunst. Ein paar Gespenster winken noch. Schon gut, dass Naturdenkmäler überall vorkommen, das Vergangene mit dem Jetzigen zart verbindend. Sie existieren sogar in meiner geografischen Gegenwart, sprich in Erdberg. Am nächsten gelegen wäre mir Naturdenkmal Nr. 312 „Zwei Kalifornische Flußzedern“, die stehen allerdings auf dem Privatgrundstück einer Bank und sind damit entöffentlicht. Die „Morgenländische Platane“ in der Kleingasse, Nr. 389, ist okay, aber wenn man die Platane vor dem Café Prückel kennt, dann doch ein bisserl arm. Umfassend fündig hingegen werde ich dann in der Baumgasse. Dort nämlich verheißt mir meine Stadt-Wien-Liste das Naturdenkmal Nr. 752, den Donauprallhang. Was das ist, erforsche ich vorab: Donauprallhänge sind überall dort entstanden, wo die Donau in ihrem früheren, wilderen Verlauf das Ufergelände nackert ausgezogen hat. Dort, oft auf steilen Lößflächen, haben sich einzigartige Biotope mit typischer Fauna und Flora entwickeln können. Ha! Und bei mir ist einer erhalten geblieben. Ich breche auf. Jenseits der Schlachthaus zweige ich von der Baum ab, ein Schild weist den Weg: „Stadtwildnis“. Ich betrete das Gelände und packe es nicht. Das hier ist eine Gstettn! Nicht mehr, vor allem aber nicht weniger. Gstettn waren für mich die besten Spielplätze der Welt, no mans land, gesetzlos, gefährlich und total sexy. Auf Gstetten lernte man zu flüchten und anzugreifen. Man lernte zu rauchen und Allianzen zu schließen. Man lernte das Leben. Und hier gehe ich jetzt durch eine Gstettn, auf den gewissen Prallhang zu, und finde alles, was es braucht. Die hochsommerlich aufstaubenden Wegerln. Die strohigen Lianen. Die gewissen, gebuddelten Kriechdurchschlupfe unter Zäunen inbenachbarte, ebenso wilde Gelände. Hinter einem Busch eine Decke und zwei Flaschen Bier. Der sandige Abhang kommt mir überdies total bekannt vor, so einen gab’s in der Hammerschmidgasse auch. Waren etwa alle Gstettn meiner Kindheit in Wahrheit ungewürdigte Donauprallhänge? Irrer Überschwang überkommt mich: Mein nächstgelegenes Naturdenkmal ist eine Gstettn! Meine Vergangenheit steht damit unter Naturdenkmalschutz. Insgesamt arg, aber doch auch beruhigend. Ende der kleinen Sommerserie.
ernst. molden(at)kurier.at
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