Castor fiber
Die Dechantlacke ist ja zu allen Jahreszeiten ein Wunder der Natur, auch in Abwesenheit der Nackten und der Freaks.
Es ist einiges gebastelt worden, hier in Erdberg. Der Zweitgeborene hat einen Zündholzschachterl- Adventkalender hergestellt, die Drittgeborene einen litfaßsäulenförmigen Engel, der schillernd in der Küche prangt und unsere Mahlzeiten segnet. Ich habe immerhin den treuen Ficus benjamini, der seit Jahren unseren Fernseher segnet, endlich in einen großen Topf umgesetzt und imaginiere nun täglich, wie er riesig wird gleich dem in der letzten Kolumne erwähnten sizilianischen „Kastanienbaum der Hundert Pferde“.Aber irgendwann will man raus, mag es auch hochnebeln oder stürmen oder schneien. Es tat eh nur Ersteres an diesem Sonntag, und selbst der Hochnebel wirkte rissig, wie eine beim Auszug zurückgelassene Gardine. Wir bestiegen den Leichenwagen, fuhren in die Lobau und schritten durch das sperrige Unterholz der Dechantlacke zu. Die Brut zeigte sich zerrissen: Dieweil ihre Köpfe und die darin eingebauten Münder das Unrecht dieses Spazierganges bejammerten, freuten sich die unausgelasteten Leiber, schritten weit aus, verprügelten einander und gerieten in heilsame Bewegung. Die Dechantlacke ist ja zu allen Jahreszeiten ein Wunder der Natur, auch in Abwesenheit der Nackten und der Freaks. Wir sahen gigantische Holzverhaue, gestürzte Urwaldriesen, weiß gebleichte Astgewirre wie Skelette aus einer älteren Welt. Dieses Totholz geht auf das Konto von Castor fiber, des Bibers, des zweitgrößten Nagetieres der Welt. Seine Wiederansiedlung war so erfolgreich, dass sich die Dechant- und andere Lacken des Donau-Marchkomplexes mittlerweile als in tierischer Umgestaltung befindliche Gruschhaufen zeigen. Die Naturschutzbehörden erwägen bereits Strategien zur „Biber-Vergrämung“. Ich kenne diese Strategien nicht, fände aber auch die Wiederansiedlung des Wolfes hübsch, des Bibers einzigen Fressfeind, denn dem Seeadler ist er zu schwer und zu unsympathisch.
Ebenso hübsch: die Bastelarbeiten der nun abwesenden Dechant-Hippies, die sich ihre Sonnenplätze ausgebastelt haben, mit Stiegen, Steigen und Pritschen aus den Resten der Biber-Bautätigkeit. Nachdenklich kehrten wir heim und bastelten selber wieder weiter.
ernst.molden@kurier.at
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