Aida
In eine Aida kann man sich vom Fluss des Lebens einfach hineintreiben lassen.
Am 14. März kommt der gefühlte zehnte schwere Schneefall dieses Winters über die Bundeshauptstadt, und das ist hart. Also gehe ich zu meinem Termin mit Freundin und Theaterfrau S., die mich für ihr neues Theaterprojekt um Moritaten gebeten hat, nirgendwo anders hin als in unsere Aida-Konditorei, Ecke Juch-Landstraßer Haupt. Das kraftvolle Rosa und die unbedingte gastronomische Verlässlichkeit des Treffpunkts mögen mir darüber hinweghelfen, dass ich, eine Woche bevor der Frühling kalendarisch beginnen soll, diesen in mir und um mich weder fühlen noch vorfühlen kann. Eine Aida ist, wenn schon nicht immerwährender Frühling, dann doch so etwas wie eine immerwährende Jahreszeitenlosigkeit, mit der man selbst den Wiener Spätwinter zu überlisten vermag. Ich besuche von Zeit zu Zeit bewusst Aidas statt Kaffeehäuser, und das nicht etwa wegen des (guten) Kaffees und der (gustigen) Mehlspeisenauswahl, sondern wegen der psychologischen Niederschwelligkeit, die eine Aida für den geschwächten Menschen bereithält. Kaffeehäuser, selbst die schäbigsten, verlangen eine Kraftanstrengung, ein Sich-Straffen vor dem Eintritt. In eine Aida kann man sich vom Fluss des Lebens einfach hineintreiben lassen, ganz so wie man ist. In meiner, äh, Junggesellenzeit im letzten Jahrhundert wohnte ich im Ersten und frequentierte wahlweise drei Aidas. Jene am Stephansplatz, wenn ich alles sehen wollte. Jene besonders hübsche in der Wollzeile, wenn ich nichts sehen wollte (außer das anmutige Lokal selbst). Oder jene kleine, unauffällige am unteren Ende der Rotenturmstraße, vor der man so schön draußen sitzen kann, wo man den Donaukanal riecht und im Wissen, dass der irgendwann ins Meer mündet, ein bisschen sogar das Meer. Außerdem ist das sanfte aber eiserne Regiment der Aida-Damen ein nicht zu unterschätzender Kontrapunkt zum allgegenwärtigen Machismo der Wiener Ober-Kultur. Unlängst erfuhr ich, dass diese Damen heute auch Tosca-Damen sein könnten, denn der wandernde böhmische Zuckerbäcker Josef Prousek, der 1925 die Aidas begründete, liebte einfach den ganzen Verdi und entschied sich erst im letzten Moment für die ägyptische Prinzessin.
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