Parasitäre Spiritualität

Vielleicht muss man sich einfach noch viel mehr mit Stille zudröhnen.

über Spiritualität

Die entscheidenden Einsichten, die ein Leben auf den Kopf oder auch auf die Füße stellen können, schrammen üblicherweise knapp am Kalenderspruchkitsch vorbei. Dachte ich mir neulich wieder bei der Lektüre von Eugen Ruges „Cabo de Gata“. Ein Mann geht weg und weiß nicht, wohin. Er will ein Buch schreiben und weiß nicht, welches. Sehr viel später wird aus der Erinnerung an das Nicht-schreiben-Können das Buch, das wir gerade lesen. Man könnte das, was ihn die Katze am Kap lehrt, ungefähr so zusammenfassen: Wir finden erst, wenn wir aufhören zu suchen.

Naturgemäß lauern die großen Gelegenheiten des Lebens im Widerspruch. Alexander Kissler, ein Kollege, der für das deutsche Magazin „Cicero“ schreibt, hat in seinem lesenswerten Buch „Papst im Widerspruch“ den zurückgetretenen Joseph Ratzinger als „Mystiker aus Einsicht“ bezeichnet. Ja was denn sonst, möchte man fragen, wird man denn Mystiker aus Uneinsichtigkeit? Vielleicht. Was Kissler meint, und damit leuchtet er in ein besonders interessantes Eck der Welt, ist, dass Ratzinger den mystischen Funken nicht erst jenseits des Intellekts zum Glühen bringt, sondern mittendrin.

Mir fehlt es, was die Mystik betrifft, zwar an Begabung, nicht aber an Interesse. Ich nenne das, was ich mir für die Spaziergänge zwischen innen und außen zurechtgelegt habe, bei mir selbst „parasitäre Spiritualität“: Geistliches Leben als Sekundärausbeutung der Übenden. Gelegentlich frage ich mich auch, ob es so etwas wie „objektive Voraussetzungen“ für den Funkenflug gibt. Mein Freund, der Meisterer, hat mich dieser Tage wieder an sein Lieblings-Zen-Rätsel erinnert. Das Koan lautet: „What ist the sound of one hand clapping?“ Da dachte ich: Vielleicht muss man sich einfach noch viel mehr mit Stille zudröhnen.

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