Ein Fahrplan als Entgleisung

Die Stadt Wien lobt zum zweiten Mal einen Wettbewerb für das Mahnmal Aspangbahnhof aus
Thomas Trenkler

Thomas Trenkler

Vor ein paar Tagen stellte sich Andreas Mailath-Pokorny, seit 2001 Kulturstadtrat von Wien, im TAG, dem Theater an der Gumpendorfer Straße, einem Gespräch. Auf die Frage, woran die Kulturpolitik der SPÖ in Wien festzumachen sei, führte er u.a. die Erinnerungskultur und den kritischen Umgang mit der NS-Geschichte der Stadt ins Treffen. Als Beispiel nannte er das Denkmal für die Verfolgten der NS-Militärjustiz von Olaf Nicolai am Ballhausplatz.

Dieses Mahnmal hatten rechte Demonstranten im November 2015 bei einer Kundgebung gegen Asylmissbrauch zum Rednerpult umfunktioniert – mit Genehmigung der Polizei übrigens. Mailath-Pokorny aber war über die missbräuchliche Verwendung erbost. Dies dürfe künftig nicht mehr passieren, sagte er Mitte Februar im "Standard": Er habe sich mit dem Wiener Polizeipräsidenten Gerhard Pürstl darauf geeinigt, dass man künftig Tretgitter um das Deserteursdenkmal aufstellen werde, wenn Demonstrationen angemeldet sind.

Nicolai sprach sich aber vehement gegen die „Tretgitterpläne“ aus. Sein liegendes, dreidimensionales X sei bewusst als „begehbares Denkmal“ konzipiert worden. Der Anspruch der Begehbarkeit, setze nicht aus, wenn Demonstrationen vor Ort stattfänden, auch von Rechten. Diese gehörten „zur Auseinandersetzung mit den aufgeworfenen Themen“. Angesichts dessen wäre ein Aufstellen von Tretgittern ein „rein formaljuristisches Vorgehen, nach dem Motto: Wir haben ein Problem – Pflaster drauf!“ Mailath-Pokorny soll die Tretgitterpläne daher wieder fallen gelassen haben.

Befremdlich reagierten die Sozialdemokraten auch in einem anderen Fall von Erinnerungskultur. Seit Mitte der 1990er Jahre bemühen sich Holocaustüberlebende – unter ihnen Leo Luster, der 1942 mit seinen Eltern nach Theresienstadt und später ins KZ Auschwitz verbracht worden war – um ein Mahnmal am ehemaligen Aspangbahnhof für die in der NS-Zeit Deportierten.

Im Jahr 2005 schrieb die Stadt Wien einen offenen Wettbewerb aus, den das Architekturbüro Naumann aus Stuttgart gewinnen konnte. Es gab eine Ausstellung und auch einen Katalog. Doch die Umsetzung verzögerte sich Jahr um Jahr.

Mitte März 2015 startete Tanja Eckstein, deren Großeltern 1941 deportiert worden waren, eine Unterschriftenaktion. Sie wandte sich auch an Bürgermeister Michael Häupl. Als Antwort erhielt sie ein Schreiben, das kurz zuvor an den Holocaust-Überlebenden Herbert Schwarz gegangen war. In diesem versichern Häupl und Mailath-Pokorny, dass sich die Kulturabteilung bereits „seit geraumer Zeit“ mit dem „sehr wichtigen Erinnerungsprojekt“ beschäftige: „Wir gehen davon aus, dass es nach einigen Schwierigkeiten der technischen Umsetzung bald einen realisierbaren Entwurf geben wird.“

Dem war aber nicht so: Im Sommer 2015 fiel die Entscheidung, das Mahnmal nicht zu realisieren. KÖR – Kunst im öffentlichen Raum Wien – wurde beauftragt, einen neuerlichen Wettbewerb auszuloben. Dieser Tage gab man den „Fahrplan“ – in Zusammenhang mit den Deportationen wohl eine ziemliche „Entgleisung“ – bekannt. Im Mai 2016 werde sich die Jury konstituieren, im Juni will man die Unterlagen verschicken – an fünf Künstler, deren Namen man nicht nennt. Und im Oktober werde der Sieger gekürt.
400.000 Euro brutto stehen zur Verfügung – wie beim ersten Wettbewerb. Von diesem Budget müssen aber auch der Wettbewerb und die Jury bezahlt werden. 2005/’06 wurden 90.000 Euro extra verpulvert – für ein nie realisiertes Projekt.

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