Die Revolte der Alten gegen Badora
Die alten Herrschaften ließen sich das nicht länger bieten: Sie schrieben wütende Briefe
Doris Weiner schlug, so erzählt man sich, verzweifelt die Hände über dem Kopf zusammen, als sie von der neuen Leitung des Wiener Volkstheaters die Premieren für die Bezirke erfuhr. Denn die Schauspielerin, seit elf Jahren die „Seele“ des Tournee-Unternehmens, kennt ihr Publikum. Und sie weiß ganz genau, was man diesem zumuten darf. Die Abonnenten sind im Durchschnitt eben so alt wie sie, also 66, oder älter. Mitunter sogar viel älter.
Schon vor Jahrzehnten haben sich die Gruppen gefunden, die gemeinsam ins Theater gehen. Leider sind sie mittlerweile kleiner geworden, weil der Tod auf niemanden wartet. Aber man gibt nicht auf, man macht sich schick, selbst wenn die Vorstellung im eher deprimierenden Einkaufszentrum von Simmering stattfindet. Und man will etwas Erbauliches sehen. Die Nachrichten sind ohnedies trist genug.
Doch Direktorin Anna Badora bestand auf einem progressiven Programm. Mit Problemstücken. Mit Uraufführungen von Autoren, deren Namen man noch nie gehört hat. Und mit völlig unbekannten Nachwuchsschauspielern. Selbst das „Zuckerl“ – als Abonnent darf man gratis zwei Vorstellungen nach Wahl im Haupthaus besuchen – ist gallenbitter gefüllt. Denn nicht einmal Johann Nestroy wird so gespielt, wie man es gerne hätte.
Die alten Herrschaften ließen sich das nicht länger bieten: Sie schrieben wütende Briefe sonder Zahl an Badora. Die Direktorin entschloss sich daher, die Abonnenten zu einem „Gedankenaustausch“ in die Rote Bar einzuladen. In diese passen rund 120 Menschen. Doch die Zahl der Anmeldungen war derart groß, dass man am Samstagnachmittag in den Saal ausweichen musste. Die Presse wurde über diese hoch emotionelle Veranstaltung leider nicht informiert.
Ihr Tratsch-Partner kam trotzdem. Gut 250 ältere Semester machten sich Luft. Sie möchten die Schauspieler verstehen können. Sie möchten ihre Lieblinge, Andrea Eckert und Maria Bill, sehen. Und sich gepflegt unterhalten dürfen. Wie gesagt: Die Nachrichten sind ohnedies trist genug. Aber Badora mache den Spielplan für sich – und nicht für das „Volk“.
Die Direktorin verteidigte sich ohne Scheu vor Fouls. Sie könne auch nichts dafür, dass die Schauspielschulen keinen Wert mehr auf Sprechtechnik legen würden, aber sie habe nun einen Sprechtrainer engagiert. Sie habe auch im Akademietheater Aufführungen gesehen, in denen sie nichts verstanden habe. Und es sei normal, dass man Ensembles austausche. Wie es dazu kommt, dass in der Burg noch immer Kirsten Dene, Martin Schwab, Ignaz Kirchner, Andrea Clausen und viele andere Lieblinge spielen, erklärte sie nicht. Eine Dame sagte, vier Freundinnen ihrer Sechsergruppe hätten nun keine Lust mehr. Wenn man das hochrechnet, wären zwei Drittel bereit, ihr Abo nicht zu verlängern. Das wäre ein Fiasko.
Badora erklärte daher ihre Pläne für die nächste Saison: „Stella“ von Goethe, die Uraufführung einer „Schrebergarten-Revue“, die Dramatisierung des Romans „Der Trafikant“ von Robert Seethaler und die Erstaufführung eines Broadway-Stücks. Zudem gab Badora bekannt, Doris Weiner als Beraterin zu verpflichten. Zumindest dies wurde mit sehr viel Applaus quittiert.
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