Wenn Tradition keine Tore schießt und Profis wie Putzfrauen verdienen
Nicht nur in Brasilien wird die Kluft zwischen Arm und Reich immer breiter.
Noch 74 Tage bis zur WM. Noch zehn Wochen, in denen protestiert und diskutiert wird, wie teure brasilianische Kicker-Tempel zu rechtfertigen seien, wenn es zugleich an Infrastruktur, Kindergärten und Spitälern mangelt im Fußball-Märchenland. Nur ein vergleichsweise banaler Streit, in dem es freilich auch um Millionen gehen kann, ist auszuschließen bei der WM:
Sobald der Ball hinter der Torlinie landet und keine Abseitsposition oder ein Foul des Schützen vorlag, wird auf Tor entschieden. Selbst wenn Schieds- und Linienrichter die Sicht völlig verstellt war.
Eine Panne wie bei der WM 2010, als England ein klares Tor gegen Deutschland aberkannt wurde, wird es bei der WM 2014 nicht mehr geben. Das verspricht FIFA-Präsident Joseph Blatter, der unter vier Anbietern die "GoalControl GmbH" made in Germany auswählen ließ. Bei der WM werden ausschließlich Bälle mit integrierten Chips hin- und herrollen für die Gerechtigkeit.
Die Deutschen führen das revolutionäre deutsche System hingegen nicht ein. Die Bundesliga hat die Torlinientechnologie abgelehnt. Vergeblich versuchte Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge, konservative Klubvertreter umzustimmen.
"Untragbar teuer", sagt Peter Stögers Sportdirektor Jörg Schmadtke in Köln. Die anderen Zweitliga-Klubs plus Schalke-Manager Horst Heldt schlossen sich der Meinung an. Sie kaufen lieber einen neuen Spieler, als 500.000 Euro in die Technologie plus 250.000 für den Chip im Ball zu investieren.
In den nächsten Jahren wird die GoalControl somit auch in Österreich kein Thema sein. Zumal hierzulande alles zeitverzögert den Deutschen nachgemacht wird und noch nicht einmal alle Liga-Plätze über Rasenheizungen und über Flutlichtanlagen verfügen, die TV-Übertragungen in international üblicher HD-Qualität zulassen.
Auf der Hohen Warte gehen auch sportlich die Lichter aus. Nach zwölf sieglosen Spielen und dem dritten Trainerwechsel (Tatar–Fellner– Garger–Posch) in neun Monaten droht die Vienna aus dem Bundesliga-Bereich zu verschwinden. Das Schicksal des ältesten Klubs muss Fußball-Nostalgikern weh tun. Soll doch die Vienna heuer ihren 120. Geburtstag feiern.
Auch was die Döblinger Finanzen betrifft, ziehen unweit der Meteorologischen Zentralanstalt Gewitterwolken auf: Vienna bangt um die Liga-Lizenz. Und das, obwohl einige Billig-Profis nur noch 1200 € brutto monatlich bekommen. Auch beim Liga-Letzten eine Etage höher in Tirol, wo die selbst ernannte Sportstadt Innsbruck dem Klub eine Million Euro Stadionmiete jährlich abknöpft, verdienen manche wackeren (wenn auch technisch limitierte) Kämpfer kaum besser als eine Putzfrau. Weshalb es gestern beim Westderby zu Tiroler Duellen mit Salzburgern kam, die ums 30- bis 40-Fache (netto) mehr kassieren.
Nicht nur in Brasilien wird die Kluft zwischen Arm und Reich immer breiter.
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