Tagebuch: Nacht-Betrachtung
Leibwächter wurden vorsorglich für Marcel Hirscher und Ivica Kostelic bereitgestellt. Am Vorabend hatten die Slalom-Artisten für ein paar Minuten noch Begleitschutz anderer Art erhalten – von Damen aus dem Nachtgeschäft, die, passend zu einem Nachtslalom, jeden Läufer zu öffentlichen Startnummernvergabe geleiteten.Ein Nachtklubbesitzer, der im offiziellen Programmheft mit Inseraten wie "30 min Zimmer Euro 69" wirbt, stellt alle Winter wieder dem Weltcup zum Nulltarif die schönsten Mitglieder seines Lassinger Etablissements zwecks optischem Aufputz der Nummern-Zeremonie zur Verfügung.Ehe Hirscher die Nummer 1 zog, war es – auf seine Initiative – schon hinter der Bühne zum Gedankenaustausch zwischen ihm und Kritiker Kostelic gekommen.Ungeachtet dessen lässt ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel weiter ermitteln, von wem die per SMS verbreiteten Gerüchte stammen, wonach sich Hirscher regelwidrig den Sieg in Zagreb erschwindelt habe. Er wüsste bereits, wer Besitzer des Handys mit der 0650-er-Nummer sei, verkündete der Präsident in der neuen Tiefgarage unter dem Planai-Ziel kurz vor dem Slalomstart. Wegen Rufschädigung werde der Staatsanwalt eingeschaltet.Hirscher und Kostelic aber wer’n kan Richter brauchen. Ihre demonstrative öffentliche Versöhnung verfehlte die Wirkung nicht. Der befürchtete Publikumsterror blieb aus. Es waren mehr einheimische Fahnen zu riechen, als kroatische Fahnenschwinger zu sehen.Die Missfallskundgebungen für Kostelic, der dem Salzburger in Kitzbühel Unsportlichkeit vorgeworfen hatte, waren zwar unüberhörbar. Aber verglichen mit den Hassgesängen, die gegen Fußball-Gästeteams auf den diversen Ost- und Westtribünen allwöchentlich angestimmt werden, hörte sich die Pfeiferei beim Nachtrennen an wie ein Violinkonzert. In Schladming hat nicht nur Slalomartist Hirscher gewonnen. Auf der Planai hat auch die Vernunft gesiegt.
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