Tagebuch: Mamma mia

Wolfgang Winheim
Der Grödener Super-G löste bei den Spitzenfahrern kein Knieschlottern aus. In der Abfahrt wird das anders sein.

Er sei ein Angsthase, sagt der zweifache Trainingsschnellste von Gröden, Hans Olsson. Noch seltener als so offene Worte waren im Skizirkus bisher nur schwedische Abfahrtserfolge. Olsson schickt sich an, nach seinem Geständnis heute ein zweites Mal mit der Tradition zu brechen, indem er als erster Schwede eine Weltcup-Abfahrt gewinnt.In diesem sensationellen Fall wäre endlich einmal seine Mama zufrieden. Denn die, so erzählt ihr Sohn, bemängle immer wieder, dass er zu passiv fahre und zu wenig riskiere. Andere Mütter werden anders denken.Die Olympiasieger-Mama Raich hält zwar bei Torläufen nervös vor dem TV-Apparat durch, doch wenn ihr Benni in einem Speedbewerb antritt, verlässt sie lieber das Fernsehzimmer. Und Alberto Tombas Mama hatte ihrem einzigen Sohn das Abfahren sogar gänzlich untersagt. Auf ihren Befehl hin schnallte Italiens populärster Brettlathlet der Alpingeschichte letztlich – Mamma mia – nicht einmal mehr Super-G-Skier an.Der – verkürzte – Grödener Super-G löste bei den aktuellen Spitzenfahrern keinerlei Knieschlottern aus. Ja, Mario Scheiber, dem der Kitzbüheler Horror-Sturz seines Freundes Hans Grugger und später sein eigener Unfall (in Chamonix) mental schwer zu schaffen gemacht hatten, konnte schon beim Comeback seinen Ruf als "wilder Hund" untermauern: In seinem 100. Rennen sofort wieder unter den Top 10. Und das, obwohl Scheiber am Vortag im von Olsson dominierten Grödener Abfahrtstraining ins Netz geflogen war.Vor der Abfahrt plagt nicht nur Olsson, sondern auch das große Feld der Sieganwärter ein ungutes Gefühl. Vor allem ÖSV-Piloten gestehen, dass sie Angst haben. Angst allerdings nicht vor einem Sturz, sondern vor Neuschnee, vor einer Materialschlacht und einer erneuten Startnummern-Lotterie.

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