Geburtstagskind
Das Geburtstagskind hört auf viele Namen: Mal ist es ein Kärntner, ein Schotte, dann ein Dr. Karl Renner.
Das Geburtstagskind hört auf viele Namen: Mal ist es ein Kärntner, ein Schotte, dann ein Dr. Karl Renner oder ein Schubert. Am 1. Mai 1865 erblickte es durch Kaiser Franz Josef das Licht der Welt: die Wiener Ringstraße, der größte Boulevard Österreichs. Zum 150. Geburtstag gibt es ein Ständchen – und eine Umrundung.
Anders als in anderen Metropolen führt dieser Boulevard im Kreis und ist in mehrere Abschnitte unterteilt. Ich starte beim Dr.-Karl-Renner-Ring. Das Parlament ist beispielhaft für die Architektur der Ringstraße, die vom Rückgriff auf die Vergangenheit geprägt ist. Weiße Säulen, davor eine stattliche Pallas Athene mit Goldschmuck: Die griechische Antike hat Architekt Theophil von Hansen merklich inspiriert.
Das Rathaus ein Stück weiter ist neugotisch, die Hofburg der römischen Antike nachempfunden. Hinter den glänzenden Fassaden der Vergangenheit kamen höchst moderne Baumaterialen zum Einsatz: Stahl und Eisen. Otto Wagner war der Erste, der den Stahl auch auf der Oberfläche inszenierte. Seine Postsparkasse läutete in Wien den Beginn der Moderne ein.
"Es ist mein Wille", so kündigte der Kaiser zuvor die Ringstraße und damit den größten Umbau der Stadtgeschichte an. Die Befestigungsanlage musste weichen, das schuf Platz für unzählige Palais. Ein Symbol der starken Monarchie sollte geschaffen werden. Ein paar Jahrzehnte später war das Reich Geschichte, der Prunk blieb. Der Ring ist Flaniermeile, Radweg, Schauplatz von Protesten. Die schön anzuschauenden Monumentalbauten hatten aber ihren Preis: Die Ziegelarbeiter wurden ausgebeutet und lebten im Elend.
Mit dem bewegten Leben des Geburtstagskinds beschäftigen sich in den kommenden Monaten von Jüdischem Museum bis Nationalbibliothek mehrere Ausstellungen.
Und seine Zukunft? Die könnte verkehrsberuhigt sein. Die Gebäude seien wunderschön, sind sich Experten einig, der Raum rundherum weniger. Schließlich dominieren an vielen Ecken Parkplätze und Haltestellen. Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou würde die Ringstraße nun gerne verschönern, den Fußgängern mehr Platz geben. Ein Neuanstrich für das Geburtstagskind also – damit es fit ist für die nächsten 150 Jahre.
Kommentare