Du hast es in der Hand

Anna-Maria Bauer

Anna-Maria Bauer

Am U-Bahnsteig fischt meine Hand wie von selbst nach dem Handy

von Anna-Maria Bauer

über Pokémon Go und die Handysucht

Eine Aktie, die durch die Decke geht. Ein Spiel, das in wenigen Tagen Millionen einspielt und Facebook Konkurrenz macht. Spieler, die gegen einen Baum krachen oder zufällig auf Leichen stoßen. Derzeit vergeht kein Tag, an dem einem nicht eine neue Nachricht zu dem Augmented-Reality-Spiel " Pokémon Go" ins Auge springt.

Na bravo, denke ich, da werden in der Stadt noch mehr Leute mit Smartphone vor der Nase herumlaufen. "Dieses ewige Handy-in-der-Hand-Halten geht gar nicht", sage ich zu einer Freundin. "Das sagst gerade du", erwidert diese. "Du bist doch genauso." Von dieser Aussage irritiert, habe ich mich selbst beobachtet: Wenn ich morgens den Wecker auf meinem Smartphone abdrehe, lege ich das Gerät nicht weg und stehe auf, sondern schaue meine eMails durch.

Wenn die Bildschirmanzeige am U-Bahnsteig mehr als zwei Minuten anzeigt, dann fischt meine Hand wie von selbst nach dem Handy in meiner Tasche. (Okay, in Wahrheit ist es egal, was auf der Anzeige steht.)

Wenn ich mit einer Freundin in ein Café gehe und sie aufs Klo muss, scrolle ich schon wieder durch Facebook, noch bevor die Tür zum Toilettenraum ins Schloss gefallen ist.

Yup, ich muss mir wohl eingestehen: Ich hänge auch ohne "Pokémon Go" tatsächlich sehr oft bis ständig am Handy.

Aber extremer geht’s immer: Der US-Amerikaner Aaron Chervenak hat im Juni in Las Vegas sein Smartphone geheiratet. Jedoch nicht, weil er es liebt, sondern um auf das surreal-intime Verhältnis zwischen Mensch und Mobilgerät aufmerksam zu machen. "Wir lassen uns von ihm trösten, nehmen es zum Beruhigen, wir gehen mit ihm zu Bett, es hilft uns zu entspannen", sagt Chervenak.

Vielleicht wäre es an der Zeit, die Fäden wieder selbst in die Hand zu nehmen – und das Smartphone öfters aus Hand zu legen. Damit die Ulk-Hochzeiten nicht zu echten werden und wir uns tatsächlich in die Blechdinger verlieben – so wie Joaquin Phoenix im US-Science-Fiction-Filmdrama "Her".

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