Wer hat an der Uhr gedreht?

Umfragen zur Dauer des Geschlechtsakts sind beliebt, aber unzuverlässig. Weil auf diesem Gebiet viel geflunkert wird – es kommt schließlich für beide Protagonisten gut, wenn sie sagen: „Pfah, wir hatten Sex ohne Ende.“ Wer’s wirklich wissen möchte, bemüht am besten die Stoppuhr. Was bleibt, ist die Erkenntnis: Zeit ist eine Illusion.
Gabriele Kuhn

Gabriele Kuhn

Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei – und der Geschlechtsverkehr, im besten Fall auch. Nämlich ein rein körperlich abgestecktes Ende, das naturgemäß durch den Mann bestimmt wird. Sowie eines im Namen der Dame – also unabhängig von seinem Kommen bzw. Gehen. Im Idealfall dauert das Vergnügen also exakt so lange, bis auch sie befriedigt, geplättet, tutto completto abgefertigt ist – sprich: meist um einiges länger als bei ihm. Im Idealfall widmet er sich ihr noch ausführlich, fingerfertig und einfühlend – Motto: Nach dem Kommen ist vor dem Kommen. Selbst wenn er sich im Grunde lieber längst zur Seite rollen, schlafen, im Handy surfen oder Lulu gehen würde. Das Thema „Wie lange dauert ein Geschlechtsakt?“ ist beliebt, aber heikel. Da wird geschummelt, übertrieben, gelogen, dass sich der Lattenrost biegt. Umfragen zur „Schnacksel-Dauer“ sind also mit äußerster Vorsicht zu genießen. Und dennoch wird die Dauer des Geschlechtsverkehrs häufig abgefragt, als beliebte Übung diverser Institutionen von Kondomherstellern bis zu Sextoy-Anbietern. Das ergibt dann recht saftige Länder-Ergebnisse – mit Bildern von den flinken Briten, genießerischen Italienern oder effizienten Japanern. Laut Kondomhersteller Durex liegt die Liebesakt-Dauer durchschnittlich bei knapp 24 Minuten – in Deutschland. Für Österreich geisterte schon einmal die Zahl 16,9 Minuten durch die Medien. Glaubt man hingegen diversen Paarberatern, geht das Vergnügen kaum über 13 Minuten hinaus. Alles gut, aber vermutlich geblufft. Es ist zu vermuten, dass die Menschen hier niemals ehrlich antworten werden, weil sie gerne dem Normal-Fall entsprechen beziehungsweise auch gerne mal über diesem liegen möchten. Männer wollen mit extensiven Längenangaben ihre „Wien-Paris-New-York-die-Frisur-sitzt-der-Schwanz-steht (und zwar: Die! ganze! Nacht!)“-Qualitäten unterstreichen. Frauen legen ebenfalls gerne noch ein paar Minütchen drauf – weil’s besser kommt und signalisiert: Yes, er kann/yes, ich kann auch. Es gibt einfach ein großes Bedürfnis, so zu sein wie alle anderen auch. Die Frage ist nur: Gibt es so eine Norm überhaupt? In diesem Kontext ist die sogenannte IELT interessant – als Abkürzung für den etwas unsexy Begriff „Intravaginale Ejakulations-Latenzzeit“. Sie ist die wissenschaftlich geprüfte Maßeinheit für die Zeit ab dem Einführen des Penis in die Vagina (Penetration) bis zur intravaginalen (in der Vagina) Ejakulation. Die IELT kommt bei Studien zur Ejaculatio praecox (vorzeitiger Samenerguss) zum Einsatz, um im Rahmen eines Vergleichs festzustellen, ob da jetzt wirklich was zu früh abgeht. Um das ordnungsgemäß festzustellen, schnackseln Paare tatsächlich mit Stoppuhr – mit Einführen wird auf Start gedrückt, beim Orgasmus auf Stopp. Eine Studie an 500 Paaren hat gezeigt, wie’s wirklich aussieht: 5,4 Minuten – so lange dauert der gemeine Koitus. Allerdings: im Durchschnitt! Die Schwankungsbreite der Bums-Performance ist enorm – das Vergnügen ist von 33 Sekunden bis 44 Minuten lang. Dazu sage ich nur: Jede gute Geschichte lässt sich in kurzer Zeit erzählen – und nix ist schlimmer als eine schlechte, die scheinbar niemals aufhört.gabriele.kuhn@kurier.at

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