Wechselwähler

Einst nannte man es „Partnertausch“, heute reden wir von Swingerszene. Die ist neuerdings eine interessante Zielgruppe – zum Beispiel für die Fremdenverkehrsbranche. Ein beliebtes Urlaubsziel der Flexiblen: Europas einziges All-inclusive-Resort „Spice“ auf Lanzarote. Für alle Paare, die sich „sexuell frei ausdrücken“ wollen.
Gabriele Kuhn

Gabriele Kuhn

Ein einziges Mal Reiseredakteurin sein – oder aber als Gecko an der Wand einer weiß getünchten Suite hocken, die sicher nicht ganz billig ist. Noch besser: Als Gecko an der Mauer des sogenannten Spielzimmers picken und schauen, was passiert, wenn die großen Kinder beginnen zu „experimentieren“. Hier im „Spice“, Europas erstem All-inclusive-Resort für den gehobenen Swinger, auf der kanarischen Insel Lanzarote. Wo sich vom Alltag mürbe Urlauber in laszive Abenteurer verwandeln. Denn ja, wer eine Reise tut, der soll etwas erzählen. Vom „erlaubten Fremdgehen“ zwischen Hotelliegen etwa. Von Damen, die sich hier das erste Mal an einer Pole-Dance-Stange räkeln. Von all den Hans-Dieters und Elkes, die auf das Eiland gekommen sind, um anders zu kommen. Die Homepage-Macher von „Spice“ drücken das natürlich geschmeidiger aus. Zielgruppe seien Paare, die sich „sexuell frei ausdrücken wollen“. Eine Marktlücke, die nachhaltig geschlossen werden konnte: Laut ihren Studien an bisher mehr als 3.000 Gästen sagen 90 Prozent, dass die „Öffnung der Beziehung“ keineswegs geschadet hätte, im Gegenteil. Ein fast ebenso hoher Prozentsatz sei der Meinung, dass das Swingen dazu beigetragen hätte, einander näher zu bringen. Daher wird hier für ein „vermehrt sexuell aufgeladenes Umfeld“ gesorgt, auch um die „notwendige Ruhe für Intimität“ zu schaffen. Im Spice gibt es zahlreiche Chill-out-Bereiche, einen Außenwhirlpool, einen Club und eingangs erwähntes Spielzimmer mit allem, was gehobenen Swingern Erektion und Lubrikation beschert. Nur so: In einer Reportage über das Resort war in der „Welt am Sonntag“ unlängst zu lesen, dass der dortige Jacuzzi zwar ein perfekter Ort der Anbahnung sei, aber nicht mehr. Beim Beckenrand macht ein Schild darauf aufmerksam, dass Sex im Whirlpool nicht erlaubt sei. Was irgendwie beruhigt, selbst wenn man gar nicht die Absicht hat, die Sommernächte 2016 auf einer kunstledernen Spielwiese ausklingen zu lassen, nachdem man sich zuvor im Lederkorsett Gürkchen vom Vorspeisenbuffet geangelt hat. Und ja, diese Frage darf ruhig gestellt werden: Wer tut’s – und wieso? Wieso, ist klar: Vom Fremdgehen träumen viele, die lang beieinander sind. Den „konsensuellen“ Seitensprung im Beisein des anderen, allenfalls auch im Dreiklang, verstehen manche als Akt der Befreiung. Das war bereits in den 1960ern ein Thema, als „Partnertausch“ diskrete, aber willkommene Abwechslung in den Vorstadt-Haushalten Amerikas wurde, wie der Anthropologe Gilbert D. Bartell mit seiner Ehefrau Ann erforschte. Damals tauschten vorzugsweise Ärzte, Lehrer, Anwälte und Hausfrauen Partner. Ihnen waren zwar Hippies und Drogen suspekt, sie gossen sich aber gerne den einen oder anderen Whisky in die Figur. Auf „Partys“ mit HiFi-Beschallung landete „Daddy auf Ma. Und Ma auf Daddy“, wie Bartell beschreibt – „einige schreien auch“. Heute ist die Szene so etabliert wie offen – laut Miriam Venn, die zum Thema dissertiert, liegt die Altersspanne zwischen 18 und 65 Jahren. Beliebtes Motto: „Alles kann, nichts muss.“ Klingt abgegriffen, ist aber so. Interessierte finden einander im Netz – vor allem aber folgt man sehr strengen Regeln. Mehr dazu nächste Woche.

gabriele.kuhn@kurier.at

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