Wechselwähler, Teil 2

Das seltsame Verhalten der sexuell Flexiblen ist gar nicht so seltsam. Es folgt meist klaren Regeln, auf Basis individuell festgelegter Grenzen. Während die einen einfach nur swingen, um sich selbst sexuell zu präsentieren oder zuzuschauen, gehen andere aufs Ganze. Was man in jedem Fall können muss: Emotionalität von Sexualität trennen.
Gabriele Kuhn

Gabriele Kuhn

Zuletzt war hier von Swingen die Rede – zu dem im Buch „Die kleine Bettlektüre für Frauen“ folgendes steht: „Das heutige Äquivalent zur dionysischen Orgie, allerdings ohne Mitwirkung von Göttern.“ Möglicherweise ist das der komplizierte Teil der Geschichte. Wo es irdischen Wesen oft recht schwer fällt, über den Dingen zu stehen. Etwa gelassen zu bleiben, wenn dieser jüngere, gut gebaute Typ gerade die eigene Frau ins Nirwana bumst. Und man daraufhin überlegt, ob es nicht besser wäre, den Ort des Geschnacksles rasch wieder zu verlassen. Oder der eigene Mann nicht wiederzuerkennen ist, wie er sich mit der Brünetten in Rage rammelt. Und man als dessen Gattin gar nicht anders kann, als den Gedanken „Und warum ist der bei mir nie so?“ im Puderdöschen zu versenken, um nicht loszuheulen. Daher steht in der „Kleinen Bettlektüre“ auch folgender Satz: „... überlegen Sie sich, bevor Sie die Autoschlüssel auf den Tisch werfen, sehr gut, ob Sie bereit sind, den Konsequenzen ins Auge zu blicken.“ Eh klar: Sensible Menschen, die eifersüchtig sind oder an Selbstwertproblemen leiden, sollten die pikanten Partys eher meiden – und es bei der Fantasie belassen. Für jene, die sich jedoch auf die Szene einschwingen konnten – so genannte „eingefleischte Swinger“ – ist das klarerweise kein Thema. Sie schaffen es, Emotionalität von Sexualität zu trennen – sexuelle Kontakte im gegenseitigen Einverständnis und nach Absprache mit dem Partner machen den speziellen Reiz aus. Wobei es gar nicht zwingend zum Koitus mit einem Fremden kommen muss. Vielen Paaren reicht es schon, nur dabei zu sein – um anderen beim Schnackseln zuzuschauen oder sich zusehen zu lassen. Oder aber das prickelnde Gefühl zu spüren, jeder Mann hier könnte – rein theoretisch – die eigene Frau besteigen bzw. jede Dame hier würde sich die Erektion des Angeheirateten gerne auf der Zunge zergehen lassen. Was man sonst über die Spezies weiß, hat die deutsche Soziologin Miriam Venn im Rahmen ihrer Doktorarbeit zum Thema herausgefunden: Der Swinger von heute ist flexibel, sauber, oft jung und sieht den Event recht entspannt – als nette Party mit unbekanntem Ausgang. Dennoch gilt: Jede Orgie folgt einem strengen Regelwerk, das die Protagonisten jeweils für sich definieren. Je nachdem, was ein Paar für sich vereinbart, definiert sich die nach oben offene Richterskala des Swingens. Für manche ist Küssen eines „Fremden“ okay, für andere ein absolutes No-Go. Manche lassen alles zu, solange es im gleichen Raum passiert. Andere wiederum vereinbaren, dass das potenzielle Objekt der Begierde gefallen muss – ein Mann muss ihm zu Gesichte stehen, eine Frau ihr. Das „Go“ oder „No-Go“ wird via Augenzwinkern signalisiert. Wo das alles passiert? Meist in speziellen Clubs. Manche Paare finden aber auch per „Kontaktanzeige“ im Netz privat zusammen, um sich in den eigenen vier Wänden zum „Alleskannnixmuss“-Stelldichein zu treffen. Das Internet hat hier vieles verändert und ermöglicht – kein Vergleich zu den Kontaktanzeigen „Paar sucht ...“ im legendären „Nachtboten“, wo einschlägige Anzeigen zwischen Geschichten wie „Wien: Gonokokken-Konjunktur“ oder „Eine Praternutte packt aus“ zu finden waren.

gabriele.kuhn@kurier.at

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