Vorstadtcasanova

Irgendwann im Morgengrauen, in der ermatteten Endphase einer Feier zum Sechziger, legt ein Mensch das Lied „Vorstadtcasanova“ von Georg Danzer auf. Die Hommage an einen Weiberer und Schlawiner, den es in dieser Form heute gar nicht mehr gibt. Weil er die Damen zwar flachlegte, sie aber gleichzeitig hochleben ließ.
Gabriele Kuhn

Gabriele Kuhn

Es war schon spät, sehr spät, als irgendjemand am CD-Player nestelte und den Georg auflegte. Der Danzer, zirka zehn Minuten vor vier Uhr – früh, natürlich. Geburtstagsfest. Sechziger. Und keiner, der da noch zuhören konnte, hatte nicht schon ein paar Achterln. Es war der „Vorstadtcasanova“ mit dem der „Aufleger“ die etwas ermattete Runde aufheitern wollte. Und es wurde nicht nur Licht, sondern auch sehr, sehr gelacht. Vielleicht an dieser Stelle ein kurzer Textauszug aus der Hommage an jenen Typus Mann, den meine Mutter, geboren 1924, wohl sanft als „Weiberer“ bezeichnet hätte – würde sie noch leben. Der Danzer hingegen wurde da schon handfester – siehe Text: „I bin mid Leib und Söh ein echta Puderant, i reiß a jede auf, de was bei uns ins Beisl kummt. Und noch zwa Schdund hab is im Haustor zuweglahnt. I hob scho meterweis de Hasn übas Glanda bogn ...“ Und schließlich: „I bin a Vorstadtcasanova und des bleib i a, der fesche Gustl mit da immahoatn Röhrn ...“ So hart der eine oder andere wienerische Ausdruck im Heute vielleicht ankommen mag – in dem Lied liegt nicht nur melodisch etwas unendlich Lyrisch-Melancholisches. Es wirkt auf mich wie die musikalische Skizze eines Mannes, der sich größer wahrnimmt, als er in Wirklichkeit ist. Der Leere mit Liebe füllt. Pomadig, selbstüberhöht und anlassig, wie man in Wien sagt. Der sich sehnt – nach dem Schoß einer Schönen. Da darf das Cola-Rot oder „Rüscherl“ (Cola-Rum) als Ingredienz nicht fehlen, auch bei Danzer nicht: „Guten Abend, schöne Frau, so allein heute, schau au. A sie woat'n auf jemanden, ja eh gloa, sie woat'n auf mi. Geh, Koarl gib uns zwa Cola-Rot, aber für Erwochsane bitte, gö!“ Was irgendwie nachdenklich stimmt: Dieser Typus scheint ausgestorben, diese charmante wie zwielichtige Ausprägung des Schlawiners und Untreuen, der Herzen bricht, aber nicht zerstört. Der seine Lust auf charmante Art zu zelebrieren wusste – vom Entree bis zum Finale. Dem der pure und auf das Wesentliche reduzierte Sex nicht reichte, sondern das Rundherum als Pirsch und Fest verstand. Und der damit auf den Spuren des größten Frauenhelden und Hochstaplers aller Zeiten wandelte: Giacomo Girolamo Casanova, selbstgeadelter Chevalier de Seingalt. Ein Bonvivant und Verführungskünstler, der die Frauen flachlegte und dennoch hochleben ließ – indem er lebte und leben ließ, wie er es in seinen Erinnerungen beschrieb: „Der Leser wird aus meinen Erinnerungen ersehen, dass ich niemals ein bestimmtes Ziel im Auge gehabt habe, und dass das einzige System, das ich hatte – wenn es überhaupt eines ist –, darin bestand, mich von Wind und Wellen treiben zu lassen. Ich weiß, dass ich existiert habe; denn ich habe gefühlt.“ Ihn unterscheidet die Art und Weise des Verständnisses für die Rolle, die er Frauen in seinem Erleben und Leben zugedacht hatte. Jede schien für sich Hauptperson, so lange sie auf seinem Erotik-Menü stand – mit dem erklärten Ziel sie, nur sie, zu beglücken. Und das begann halt schon verspielt beim Vorspiel – bei Casanova mit Austern und Schampus, beim Vorstadtcasanova vielleicht mit einer „Haßn“ am Würstelstand und Sprudel in einer dunklen Bar, irgendwo im sechzehnten Hieb.

gabriele.kuhn@kurier.at

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