Hör mal, wer da hämmert

Wenn es um Sex geht, schwingen häufig Bilder einer perfekten Ausstellung mit. Von glatten Körpern, feuchtfröhlichen Exzessen und Geschlechtsteilen, die wie geschmiert tun, was sie tun sollten: immerzu Lust spenden – auf Hammer-Niveau. Dass es auch weniger perfekt sein darf, verdrängen viele. Doch genau das ist die Crux.
Gabriele Kuhn

Gabriele Kuhn

Wenn sie nicht gestorben sind, dann hämmern sie noch weiter.

von Gabriele Kuhn

über Perfektion beim Sex

Ultimativ – und perfekt. Das sind zwei Begriffe, die gerne in einem Atemzug mit dem Wort Sex genannt werden. Da steht dann sowas in Lifestyle-Portalen: „5 Tipps für den ultimativen Orgasmus.“ Und: „8 ultimative Tipps für den perfekten Blowjob“. Oder etwa: „Es muss nicht immer Sex sein: 10 Tipps für das perfekte Kuscheln“. Beziehungsweise: „Es muss nicht immer Kuscheln sein: 10 Tipps für den perfekten Sex“. Orgasmen sollten, wenn schon nicht perfekt wenigstens ultimativ sein. Nie würde irgendwo stehen: „So kommen Sie in 15 Minuten zu einem durchschnittlichen Orgasmus“. Und schon gar nicht: „15 durchschnittliche Ratschläge für unterdurchschnittlichen Sex“. Keine Chance, das interessiert niemanden, das würde so keiner lesen. Stattdessen will er wissen, wie ein Mann „jede Frau ins Bett kriegt“ oder „allen Frauen einen multiplen Orgasmus beschert“. Und sie mag lesen, was sie tun muss, damit „meine Vagina nicht pupst“ oder wie die „6 besten Stellungen von hinten“ funktionieren. Weil es doch idealerweise so sein muss: Mehr und noch mehr. Und das bitte noch besser, noch härter, noch feuchter, noch tiefer, noch länger, noch glatter, noch dünner, noch six-packiger. Wo man hinschaut: die Superlative, das Optimum, das Erstrebenswerte. Also Supermuschis, Super-Ständer und ewig funktionierende Feuchtbiotope, allzeit bereit. Vieles, was wir gerne hätten, aber nicht haben. Zur Orientierung braucht man dann eigentlich nur mehr durch das Porno-Angebot im Internet zu surfen. So viel Ultimatives und Perfektes per Mausklick – hör und schau mal, wer da hämmert. Frauen, die sich stundenlang von hinten und vorne, von oben und unten bumsen lassen, ohne auch nur einmal „Autsch“ zu sagen. Oder womöglich „Stopp“. Männer mit Presslufthammer-Erektionen, unverletzbar. Und alle haben sie Orgasmen wie Donner und Blitz. Wenn sie nicht gestorben sind, dann hämmern sie noch weiter. Das ist nicht alles. Wer Sex denkt, denkt meist in Idealen. Damit wird der Mensch sozialisiert. Sex muss dreckig sein, darf aber nicht besonders schmutzen. Sex darf nicht stinken, nicht holpern, nicht zögerlich sein. Nur kein falsches Geräusch an falscher Stelle. Nur kein Ausrutscher, Abrutscher, Versager. Von Beginn an sind die Erwartungen hoch. Erster Sex? Sanft, schön, schwingend, geil. Dass da auch einmal etwas nicht so rutscht und vielleicht sogar weh tun kann, also bitte! Daher empfindet sich jeder, dem tatsächlich ein bisschen was weh tut, und wo es nicht so flutscht, falsch. Auch sonst wollen wir tun, was richtig ist. Richtig ist, was opportun scheint. Und das ist auf keinen Fall etwas, wofür wir uns womöglich schämen müssten. Wer zu früh kommt, gar nicht kommt, verzögert kommt, an delikater Stelle ein Wimmerl oder Härchen hat, im falschen Moment die falsche Handlung setzt, wer zögert, überlegt, es ungeschickt anpackt, den bestraft sein Sexualleben. Wer nicht wie geschmiert die Beine spreizt und die Lenden schwingt, ist raus. So schade. Weil es kaum etwas Menschlicheres gibt als den sexuellen Menschen, in seiner ganzen Nacktheit und Berührbarkeit. Genau so sind wir nämlich gemeint: weder ultimativ, noch perfekt, sondern verletzlich und echt. Deshalb müssen wir nicht nur gut zu uns sein, sondern vor allem nachsichtig mit uns.

gabriele.kuhn@kurier.at

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