Tabuzone Sexualität

Wenn’s läuft, dann läuft’s – aber was passiert, wenn es nicht läuft? Über sexuelle Probleme wird gerne geschwiegen. Ebenfalls geschwiegen wird, wenn die Lust auf die Last des Krankseins trifft. Dabei ist ein Drittel der Österreicher chronisch krank – und daher betroffen. Höchste Zeit, aus der Tabuzone eine Komfortzone zu machen.
Gabriele Kuhn

Gabriele Kuhn

46 Prozent aller Frauen und 39 Prozent aller Männer haben in ihrem Leben, zumindest vorübergehend, sexuelle Probleme.

von Gabriele Kuhn

über Fehlerquoten

Reden wir über Sex. Das sagt sich sehr geschmeidig dahin. Doch was geschieht? Wenn es ernst wird, sagt keiner was. Vor allem wenn’s nicht mehr wie geschmiert läuft, also Probleme auftauchen, gilt die Devise:
Augen zu. Ohren zu. Mund zu.

Er kriegt ihn nicht mehr hoch? Sie hat eine trockene Vagina? Sex im Alter? Der Sex tut weh? Ganz ehrlich: Lieber nicht darüber reden! Das wird schon wieder. Ganz heikel wird’s, wenn die Begriffe „Sex“ und „Krankheit“ aufeinander treffen. Geht gar nicht. Wo doch Sex in den meisten Köpfen für jugendliche Elastizität, Leichtigkeit, Selbstverständnis steht. Für ein „alles geht“. Und natürlich, bis zu einem gewissen Grad, für Perfektion und die Fähigkeit zu „performen“. Sex, I can – das ist das Branding all jener, die – als Teil der Optimierungsgesellschaft – etwas leisten können. Denn auch eine richtig harte Erektion wird als Leistung empfunden. Und die Orgasmusfähigkeit auch – deshalb gibt’s ja die Orgasmuslüge überhaupt. Wer all das „kann“, gehört dazu. Das gilt, so lange man möglichst jung, maximal fit und schön ist.

Außerdem ist Sex stets mit der fatalen Illusion von Allzeit-Sexyness verbunden. So, als würde auf immer und ewig immer alles so weitergehen. Forever young, forever geil. Niemals wird was schieflaufen, niemand wird altern, kränkeln, weich und schlapp werden. Und in Wirklichkeit? Alles anderes. Ein Drittel der Österreicher ist laut Statistik Austria chronisch krank. Diese Menschen haben Diabetes, Depressionen, Herz-Kreislauferkrankungen oder eben Krebs. Jedes dieser Leiden hat enormen Einfluss auf die sexuelle Gefühle, auf die erwähnte „Performance“.

Da ist dann eben nichts mehr so, wie es einmal war – das macht sehr viel mit den Betroffenen und deren Beziehungen. Der Selbstwert sinkt, im Mittelpunkt steht dann Leiden statt Lust. Damit verbunden geht das Vertrauen in die eigene Fähigkeit als sexuelles Wesen weitgehend verloren. Außerdem ist Sexualität ein höchst komplexes Zusammenspiel diverser Faktoren, deshalb ist sie so anfällig. Da kippt leicht was, aber dieses Kippen ist zutiefst menschlich.

Nur so: 46 Prozent aller Frauen und 39 Prozent aller Männer haben in ihrem Leben, zumindest vorübergehend, sexuelle Probleme, weiß die Sexualmedizinerin Elia Bragagna. Doch nur rund zehn Prozent dieser Menschen werden von ihren Ärzten zu ihrer sexuellen Gesundheit befragt. Ob Patient oder Arzt: Da gibt’s eine Tabuzone; Motto: Nichts sagen, nichts fragen, ähem und na ja. Eh alles soweit ok. (Patient). Na dann, alles Gute, bis zum nächsten Termin (Arzt). Das muss anders werden, dringend. Was es dafür braucht, wurde nun bei einer Tagung des Bundesministeriums für Gesundheit diskutiert. Keine starre Routine und „nette“ Gespräche etwa, sondern offene und gute Gesprächsführung. Ein Setting von Offenheit bei gleichzeitiger Diskretion. Da braucht’s Zeit, Bewusstsein, Einfühlungsvermögen.

Aber vermutlich fängt das alles ja schon viel früher an: Einerseits im Medizinstudium, wo angehende Ärzte lernen, auf gleicher Augenhöhe und mit Anteilnahme zu kommunizieren. Und andererseits beim aufgeklärten jungen Menschen, der den Mut hat, seine Sexualität angstfrei anzusprechen. Reden wir über Sex. Aber offen – und ehrlich.

gabriele.kuhn@kurier.at

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