Nadelstreif & Balletttänzer

Sex zu haben ist eine Sache – über Sex zu schreiben eine andere. Erotik in Sprache zu packen gehört zu den schwierigsten Herausforderungen für Literaten. Viele sind schon daran gescheitert, wie – alle Jahre wieder – die Verleihung des „Bad Sex in Fiction Award“ zeigt. Heuer ging er an den Italiener Erri De Luca.
Gabriele Kuhn

Gabriele Kuhn

Ja, man darf sich wirklich wundern, was alles möglich ist.

von Gabriele Kuhn

über die erotische Fabulierkunst

Wer schon jemals im Dirty-Talk-Modus auf diversen Dating-Börsen unterwegs war, weiß, wie schwierig es ist, erotische Gedanken so zu formulieren, dass nicht alle im (Lach)krampf enden.

Freundin F etwa, eine Zeit lang heftigst in Sachen Online-Anbahnung unterwegs, hat da so ihre Erfahrungen. Etwa mit jenem Erotik-Schimmelbriefschreiber, der seine Formulierkunst in ein Pauschal-Pamphlet goss und auf sämtlichen gängigen Kennenlern-Börsen sein Glück mit dem literarischen Einheitsbrei versuchte. Heißt: Jede potenzielle Beischlafkandidatin wurde von ihm mit den selben Zeilen bedacht. Die gute Frau ist heute noch vom schlimmsten Satz seit Erfindung der Keilschrift posttraumatisch belastet, der lautete: „Und dann streichle ich dein Mauserl, bis du juchzt.“ Das ist jetzt auch schon lange her – wenn der Poet nicht gestorben ist, so ist zu vermuten, dass der gute Mann immer noch mit seinem Brief von Mauserl zu Mauserl wandert. Ein weiterer Anwärter entrierte seine Bett-Geschichten uniform mit dem Satz: „Wenn mein Knüppel einmal aus dem Sack ist, gibt es kein Halten mehr.“ Ja, man darf sich wirklich wundern, was alles möglich ist.

Zur Entschuldigung der Dirty-Hobby-Dichter: Die erotische Fabulierkunst gehört zu den heikelsten literarischen Gattungen und bringt selbst bei hauptberuflichen Schreibern einiges an Fettnäpfchen-Potenzial mit sich. Was der „Bad Sex in Fiction Award“ sehr schön zeigt. Das ist ein jährlich von der Zeitschrift „Literary Review“ an zeitgenössische Romanautoren vergebener Preis für die schlechteste Beschreibung einer Sex-Szene. Ziel der Auszeichnung ist es, die Aufmerksamkeit auf die „kruden, geschmacklosen, oft nachlässig geschriebenen und redundanten sexuellen Passagen in modernen Romanen zu lenken, um solche künftig zu verhindern.“ Den Preis gibt es seit 1993. Heuer bekam ihn der italienische Autor Erri De Luca für die schlechteste Roman-Sex-Szene. Dessen Formulierkunst gipfelte in „Genitalien, die wie Balletttänzer auf Spitze übereinander schwebten“ – festgeschrieben in seinem Roman „Der Tag vor dem Glück“. Nur so: Erri De Luca ist kein Anfänger, im Gegenteil. Er zählt zu den bekanntesten Autoren Italiens. Und als solcher lässt er eine weitere Sex-Szene mit folgender Conclusio enden: „Mein Körper war ihr Schaltknüppel.“ Und das ist tatsächlich eine Frage des Geschmacks.

Bei den Nominierten befand sich der italienische Autor aber in guter Gesellschaft. Kandidat für den Preis war etwa Tom Connolly, in dessen Werk „Men Like Air“ folgende Passage preisverdächtig schien: „Er sah, wie ihr Pass langsam aus der Gesäßtasche ihrer Jeans rutschte, mit dem rhythmischen Auf- und Ab ihres Hinterns, als sie ihm einen blies. Er beugte sich über ihren Rücken und griff nach dem Pass, bevor er auf den Boden fiel. Trotz der besonderen Umstände zwang ihn die menschliche Natur, auf das Passbild zu schauen.“ Mein Favorit stammt allerdings aus dem Jahr 2002, da bekam die britische Schriftstellerin Wendy Perriam für eine Szene aus ihrem Buch „Tread Softly“ den Preis. Und die ging so: „Sie schloss die Augen und sah, wie seine dunklen Sirupbonbon-Augen auf sie herunterschauten. Seltsamerweise war er zugleich nackt und mit Nadelstreif bekleidet.“ Sowie: „Sogar der Penis von Mr. Hughes hatte eine verführerische Nadelstreif-Vorhaut.“ Kult!

gabriele.kuhn@kurier.at

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