sex IN DER FREIZEIT: Magische Wurmkur

sex IN DER FREIZEIT: Magische Wurmkur
Weil der Mensch Fragen stellt, wächst er, wird er weiser und erfährt im Zweifelsfall, wo es zum nächsten Wirtshaus geht. Auch die Frage nach dem Sinn von Sex ist berechtigt, aber nicht immer angebracht.
Gabriele Kuhn

Gabriele Kuhn

Warum Sex? Diese Frage warf das seriöse Magazin "Bild der Wissenschaft" unlängst in die Leserrunde - nicht ohne zu frohlocken: "Endlich geklärt! Die topaktuellen Beweise der Evolutionsbiologen". Meine Ehrfurcht vor dieser Berufsgruppe ist angemessen groß. Immerhin verdankt ihr die Menschheit zum Beispiel die Erkenntnis, dass die Checker und Chefs unter den Schimpansen die besten Chancen haben, ein brünftiges Weibchen zu kriegen. Und dass die eigentlich nicht unherzigen Wasserflöhe "genetisch" unsauber sind, weil sie sich asexuell fortpflanzen. Woraus sich wiederum schließen lässt: Vögeln macht nicht nur großen Spaß, sondern putzt das Erbmaterial durch. Und Wasserflöhe sind doch nicht so herzig wie sie hüpfen. Egal. "Bild der Wissenschaft" beschreibt das sexuelle Vergnügen als Survivaltraining. Sex sei eine clevere Strategie, um das menschliche Immunsystem gegen den bösen Feind - Erreger aller Art - zu rüsten. So betrachtet, ist eine schöne Runde Schnackseln samt erfolgreicher Befruchtung das beste Mittel gegen Beulenpest und Schnupfen. Im "Bild der Wissenschaft" wird dazu der Journalist Michael Miersch zitiert, der alle Erkenntnisse zum Thema "Sex, wieso?" pointiert zusammenfasst: "Männer sind also nichts weiter als eine biologische Krankenversicherung - oder, beschämender noch: eine evolutionäre Wurmkur." Was immer es über die Herren berechtigt Kritisches anzumerken gäbe: Die Bezeichnung "Wurmkur" haben sie nicht verdient. Man trug mir zu, wie sich eine Wurmkur anfühlt, daher: Einspruch! Und auf die Gefahr hin, dass sich die Evolutionsbiologen jetzt ans Hirn greifen, die Haare raufen, einen Schnaps brauchen oder schreiend davonrennen: Mir wurscht, warum genau ich Sex habe, Hauptsache ich hab welchen. Das Gute an einer guten Nummer ist nämlich das da: Sie passiert. Und zack. Der Sex, die Erotik liegen plötzlich in der Luft - dazu gesellt sich geile Vorfreude. Jetzt aber! Geschlechtsverkehr ist die schönste Form der Gedankenlosigkeit. Es gibt keine bessere Moment-Aufnahme. In diesem Zusammenhang möchte ich ein neues, kleines, aber sehr feines Werk empfehlen: "Das Wiener Dekameron" von Christoph Braendle (Metroverlag). Es ist wunderbar unanständig, wienerisch, lustvoll - und dennoch auf wohltuende Weise geerdet. Verliebt habe ich mich in die Geschichte, in der ein junger Mann namens Peter (noch "Jungfrau") im Prater auf die verzweifelt schluchzende Gabriele trifft, die ihren Mann zum Hochzeitstag mit einem Dinner in der Kabine des Riesenrads überraschen wollte. Aber versetzt wird, weil der sie wegen einer Jüngeren verlässt. Peter will sie trösten und kommt auf diese Art nicht nur zu einem Abendessen, sondern zu seiner Sex-Premiere: Sie vögeln hoch über Wien, in der Kabine des Riesenrads. Und damit endet diese kleine Geschichte: "Sie stiegen Hand in Hand aus, umarmten und küssten sich noch einmal, und wie der schüchterne Peter zum Abschied sagte, ich werde dich nie vergessen, antwortete Gabriele: ich dich auch nicht, vielleicht hast du mir das Leben gerettet." Womit wir wieder beim Anfang wären: Genau darum haben wir Sex - für magische Momente wie diesen.

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