Sex: Goldener Herbst

Was bleibt, wenn der erotische Spätsommer geht? Für viele Menschen nicht allzu viel – ein paar Erinnerungen an früher, bestenfalls. Lust im Alter ist ein Tabuthema – und man kann sie nicht einfach anknipsen wie eine Stehlampe. Doch es gibt sie, wie ein neues Buch zeigt. Der Beweis, dass man mit 70 noch Sex-Abenteuer erleben kann.
Gabriele Kuhn

Gabriele Kuhn

No risk bedeutet auch: no fun.

von Gabriele Kuhn

über Lust im Alter

Eines der besten Zitate zur Sexualität stammt von Arthur Schopenhauer: „Die Genitalien sind der Resonanzboden des Gehirns.“ Es passt gut zum heutigen Thema – die Erotik des Alters. Darüber habe ich in den vergangenen 14 Jahren besonders oft geschrieben, weil darüber eben besonders oft geschrieben werden muss. Mich hat schon als junger Mensch geärgert, dass in vielen Köpfen immer noch die Idee herumgeistert, ältere Menschen sollten das mit dem Vögeln besser lassen und lieber weitwandern gehen. Oder Briefmarken sammeln, Blumen binden, im Beet herumzupfen, statt im Bett herumzuhupfen. Hallo, wie wär’s mit beidem?

Zunächst ist es da einmal wichtig, die Faktenlage abzuklopfen. Die schaut naturgemäß so aus: Zwei sind gefühlte 1.000 Jahre zusammen, kennen jeden Quadratmillimeter vom Körper des anderen und keiner kommt mehr so wirklich in erotische Rage, wenn der Partner Hand oder Mund anlegt. Der Hormonstatus ist sosolala, doch sonst passt alles eh irgendwie. Motto: Wir sind halt nimmer die Jüngsten. Die Kraft des Stürmens und Drängens scheint perdu, vielleicht ist man einfach nur froh, nicht an Gelenkschmerzen zu laborieren. In dieser risikofreien Komfortzone zwischen Kaffee, Kuchen und Kompromisskoitus arrangieren sich viele jenseits im „Senioreneckerl“. No risk bedeutet aber auch: no fun.
Problem: Das Gehirn dieser Menschen, da sind wir wieder bei Schopenhauers Zitat eingangs, lässt gar nichts mehr anderes zu. Die neuronalen Lustnetzwerke sind entschlummert – wie sich Geilheit anfühlt und wie sie entfacht wird, gerät völlig in Vergessenheit. Das ist sehr schade, müsste vor allem aber nicht so sein.

Wie das Beispiel der Bauers zeigt. Magda und Bernhard Bauer feierten vor kurzem ihre Goldene Hochzeit und wurden dafür im Wiener Rathaus geehrt. Anlass zu feiern hatte das Paar auch aus einem anderen Grund: Mit knapp 70 Jahren ist es den Pensionisten gelungen, die Lust neu zu entdecken. Nicht nur: Sie haben darüber ein Buch geschrieben – LiebesLeben (edition-a) sorgt im deutschsprachigen Raum gerade für viele Ahs und Ohs. Wohl auch, weil das Werk recht ungeniert formuliert wurde („Ich möchte, dass du mich einmal mit der Zunge befriedigst, und zwar richtig“, sagte ich. Er spuckte fast den Kaffee über den Tisch.“). Mag sein, dass es jetzt Leute gibt, die dem Paar Exhibitionismus oder gar Sensationsgeilheit unterstellen wollen, für mich ist das Buch vor allem ein wichtiges Signal, sämtliche Klischees zum Thema Sex in der Ehe oder Sex im Alter ad acta zu legen. Es ist mutig und macht Mut, noch ein letztes Mal aufzubrechen. Das Schöne daran: Es ist kein To-do-Leitfaden in Form eines Pauschalrezepts – wo es doch für die Lust kein Pauschalrezept gibt. Vielmehr ist es eine persönliche Erzählung auf Basis einer Entscheidung – nämlich Lust zu leben, jenseits jener Jahre, in denen man knackig und leistungsfähig war. Diese Entscheidung braucht einen geistigen Nährboden, auf dem die neue Erotik gedeihen kann. Die Bauers haben, inspiriert durch eine TV-Sendung über Swingerclubs, begonnen anregende Frühstücksgespräche zu führen. Die wurden zum Dreh- und Angelpunkt ihrer Spannung und ihrer Abenteuer – erst im Kopf, später real. Und zum Freiraum, in dem alles erlaubt war und in dem das Paar immer mehr wagte. Frühling im Herbst, einfach schön.

gabriele.kuhn@kurier.at

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