Eins, zwei oder drei?
Ihr Ehemann ist nach wenigen Momenten sexueller Freiheit in die nächste Beziehung übersiedelt.
Ich treffe K in einem kleinen Bistro in Wien 1. Es gehe ihr nicht besonders gut, schrieb sie mir ein wenig kryptisch per Mail. Und: „Können wir mal reden?“ Auf dem Weg dorthin rekapituliere ich: K, seit 19 Jahren verheiratet mit P, hatte mir vor eineinhalb Jahren mit roten Wangen und angeheitert erklärt, dass sie und ihr Mann neuerdings „aufgeschlossen“ wären. In der Sekunde hatte ich Texte aus den Schmuddelecken der Kleinanzeigen vor Augen: „Aufgeschlossenes Paar sucht aufgeschlossenes Paar für pikante Erlebnisse.“ Oder „Aufgeschlossenes Paar sucht aufgeschlossenen jungen Mann für abwechslungsreiche Abende.“ Aus diversen Schilderungen weiß ich, wie diese „Aufgeschlossenheit“ mitunter aussieht. Man betritt etwa ein Reihenhaus, wird in ein Wohnzimmer mit Eichenschrank-Wandverbau geführt, trinkt dort mittelklassigen Sprudel und nagt an Salzletten. Irgendwann dreht jemand am Dimmer und legt das Eh-schon-wissen-Stöhnlied von Jane Birkin ein, um es jetzt, eh schon wissen, krachen zu lassen. Nur in den seltensten Fällen landet man auf echten Seidenteppichen, um im Währinger Whirlpool zu viert an Schampus und fremden Körperflüssigkeiten zu nippen.
K & P suchten allerdings nicht nur das große Abenteuer im Vierer- oder Dreierpack, sondern die echte, die ganz arge Freiheit – bei gleichzeitiger Kuschelgarantie im Ehebett. Einen Hauch derber: Man gönnte einander die Freiheit eines Fremdficks. K sagte damals: „Du, echt jetzt. Für mich ist es total okay, wenn er mal eine Nacht Spaß hat – und dann ausgeglichen mit mir ins Wochenende fährt. Im Übrigen werde ich es mir auch gut gehen lassen. Einen Typen habe ich schon im Visier.“ Mein letzter Gedanke, bevor ich mich zu K an den Tisch setze: Oha, da hat’s was. K sieht älter aus als zuletzt, und sie sagt: „Es ist aus. Wir lassen uns scheiden. Dieser ganze Schmus von Aufgeschlossenheit ist nämlich ein totaler Schas.“ Kurz zusammengefasst: Ihr Ehemann ist schon nach wenigen Momenten sexueller Freiheit in die nächste geschlossene Beziehungsanstalt übersiedelt, wo er jetzt mit rosaroter Brille hockt und denkt, er sei im siebten Schnackselhimmel.
Ein Konstrukt fürs Papier
Offene Beziehung. Ja eh. Ein Konstrukt wie fürs Papier gemacht – es liest sich resch, doch nur wenige ziehen das ohne Malaise auf Dauer durch. Und dennoch hypt die Idee der Open-Genital-Policy gerade sehr. Verständlich. Die Gesellschaft befindet sich im Non-stop-Umbruch, Klischees und Ideale schwimmen davon, Rollenbilder brechen auf. Eine Scheidung hat fast jeder in seiner Lebensbilanz, Patchworkmodelle boomen. Die Liebe oszilliert. Was den Sex betrifft, leben wir längst im Zeitalter des Optimierens – Motto: Da muss es irgendwo doch noch mehr flutschen, noch geiler und steiler sein. Gleichzeitig bleibt die Sehnsucht nach Verortung – Heim, Herd und gemeinsames Serienschauen mit Chips am Sofa. Da Sicherheit, dort Versautheit. Wir wollen alles – yolo, carpediem und das ganze Zeugs. Einziges Problem: der Mensch. Auch wenn es heißt, er sei nicht für die Monogamie gemacht, ist es für die meisten von uns kaum denkbar, auf Dauer zu teilen. Und wie man es dreht und wendet: Es gibt kein Pauschal-Modell für Beziehungen, das für alle gleich gut klappt. So spannend, reizvoll und schön das bisschen Spielen sein kann – gilt dennoch: Jeder spielt anders.
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