Schnackseln wie die Bösen?

Wie viel Sex macht Paare glücklich? Diese Frage stellten sich kanadische Forscher – und kamen zu einem erstaunlichen Schluss: Ein Mal pro Woche ist gerade richtig. Die Normvorstellungen schauen freilich anders aus – nämlich leistungsorientiert. Motto: Immer gut drauf, immer gut drin. In Wirklichkeit ist alles ganz anders.
Gabriele Kuhn

Gabriele Kuhn

Das ist eine Ansage: Einmal Sex pro Woche ist ausreichend. Nicht nur: Paare, die sich im Laufe ihre Liebesjahre auf diese Beischlaffrequenz einpendeln, sind sogar sehr glücklich. Nein, das kommt jetzt nicht vom Verein „Askese ist geil“, sondern ist das konkrete Ergebnis von Forschern der University of Toronto. Die haben sich bei insgesamt 30.000 Menschen umgehört, um herauszufinden, wie die Zufriedenheit und das persönliche Empfinden von Glück mit der sexuellen Aktivität zusammenhängt. Und siehe da: Wer im Rahmen seiner Partnerschaft etwa alle sieben Tage Sex hat, ist besonders zufrieden. Bei geringerer Aktivität sinkt die Zufriedenheit – bei höherer steigt sie aber nicht. Dieses Ergebnis mag viele erstaunen – wo doch bisher immer galt: Viele Leibesübungen, viel Glück. Das ist vielleicht für die ersten zwei, drei Jahre nachvollziehbar, aber dann kann es durchaus sein, dass sich die Prioritäten mehr oder minder dezent verlagern. Von der Horizontale in die Welt der Senkrechtstarter, To-do-Listen und Leistungskurven. Die Geilheit wird vom Platz eins der Prioritätenliste also wieder verdrängt. Wobei genau darin die Tücke liegt. Für viele Menschen ist die Beischlaffrequenz ein wesentliches Leistungskriterium. Der Beweis für die eigene „Fitness“, in einer Gesellschaft, die sich dem Selbstoptimierungswahn unterworfen hat: „Hallo, schaut her, wir sind eh sehr super, weil wir schnackseln immer noch wie die Bösen. Multiple Orgasmen! Stellungsturnen! Spermienweitsprung!“ Wer da nicht mittut, schrammt auch schon knapp an der sexuellen Funktionsstörung vorbei. Langweiler. Nicht-Könner. Fade Nuss. Frigide. Deshalb wollen wir alle alles sein – der Supermann, der Top-Mitarbeiter, der tolle Vater, der Vorzeige-Schwiegersohn, der softe Frauenversteher und der superpotente Hengst. Die Super-Frau, die Karriere-Sau, die perfekte Mutter, die Heilige, die Hure, die Köchin. Also schwingen wir uns zum Schnackseln in allen Befindlichkeits- und Lebenslagen auf – egal, ob die Lust wirklich Lust ist oder eben nur von außen aufoktroyiertes Must-have. Aber leider: Das geht so nicht, damit schleudern wir direkt ins sexuelle Burn-out. Mein Verdacht ist allerdings, dass viele Paare genau darauf reinfallen, weil andere Paare auch darauf reinfallen. Die denken sich: Was die anderen machen, müssen wir auch. Lächerliches Gedankenkonstrukt! Gar nix muss man. Weg damit. Ab in den Mist mit all diesen Konzepten. Um endlich, endlich zu leben. Ja, es gibt wahnsinnig viele Gründe, Sex zu haben – aber keinen, ihn haben zu müssen. Lieber ein bissl weniger – aber das bewusst und intensiv. Eines meiner Lieblingszitate – es ist vom Schauspieler Jim Carrey – lautet so: „Was zählt, ist nicht die Länge des Zauberstabs, sondern der Zauber im Stab.“ Sex ist eine Möglichkeit, einander zu spüren und nah zu sein. Sex – im Rahmen einer Paarbeziehung – ist aufmerksames Zuhören und Hinspüren. Den Sehnsüchten des Partners, den eigenen. Keiner hat was davon, dauernd die gleiche Nummer runterzuvögeln, während beide insgeheim von völlig anderen Bildern träumen. Darüber zu sprechen, kann auch Sex sein. Doch sowas braucht mehr Zeit und weniger Husch-Husch.

gabriele.kuhn@kurier.at

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