Reizlos unglücklich
Demnach seien Pornos eine Droge, die die Gehirne junger Männer früh prägt – dann wenn die Neuronen sich formen und vernetzen.
Das war einmal so und es ist lange her: Wenn die Großen sicher waren, dass die Kleinen tief schliefen, wurde der Doppler auf den Tisch gestellt und ein Teller Goldfischli. Dann hat der X sein Ding aus dem Nylonsackerl gezogen: eine Videokassette mit „Erwachsenenmaterial“. Das Licht im Wohnzimmer wurde gedimmt – servas die Madl’n, servas die Buam, jetzt wird Porno geschaut. „Porn Chic“ war übrigens ein von der New York Times im Jahr 1973 geprägter Begriff, um die steigende Popularität von Streifen wie „Deep Throat“ oder „The Devil in Miss Jones“ in Worte zu fassen. Da war der Schmuddel noch eine diskrete Angelegenheit.
Das wird nie mehr wieder so sein. Pornografie ist längst Teil der gesellschaftlichen Mitte, spätestens seit der Erfindung des Internet braucht es keine Goldfischli-Abende mehr, um anderen Menschen beim Rammeln zuzusehen. Das Angebot ist unüberschaubar, die Nachfrage ebenso. Es wäre daher nicht einmal absurd zu behaupten, dass Homo sapiens internetiensis mit Pornografie sozialisiert wird – zumal das Smartphone all dem eine weitere Dimension hinzugefügt hat. Jetzt geht es um die Auswirkungen. Vor einigen Wochen brachte das Magazin Time eine viel zitierte Titelgeschichte, die die verheerenden Folgen des Pornokonsums bei Männern thematisierte.
Deren Virilität sei gefährdet, alles ganz furchtbar. Das Gespenst der „PIED“ wurde gezeichnet: „Porn induced erectile dysfunction“, also eine durch Pornokonsum bedingte Erektionsstörung. Simpel formuliert: Er kriegt nur mehr „auf Hardcore-Porno“ einen hoch, die Realität ist zu reizarm. Im Großen und Ganzen zeichnete die Coverstory also das trübe Bild entseelter Typen, die gar nicht mehr anders können, als sich täglich mehrmals einen vor dem PC runterzuholen und wie Junkies an der Nadel des Rein-Raus-Anal-Oral-Egal-Streams hängen. Demnach seien Pornos eine Droge, die die Gehirne junger Männer früh prägt – zu einem Zeitpunkt, da die Neuronen sich formen und vernetzen. Porno-Sucht und Verrohung seien damit vorprogrammiert. Zudem werden in der Geschichte junge Ex-Porno-Konsumenten zitiert, die auf „kaltem Entzug“ sind. Ihr Heilsversprechen: Nur absolute Enthaltsamkeit könne helfen, um wieder echte Beziehungen erleben zu können. Pornos also ganz, ganz pfui.
Diese Art pauschaler Verdammnis ist heikel wie jedes Extrem. Ja, stimmt schon – Jugendliche und Teenager wachsen heute mit Bildern auf, von denen junge Menschen vor zehn, vor 20 Jahren nicht zu träumen wagten. Was das aber wirklich macht und wie sich diese Bilder auf das sexuelle Erleben tatsächlich auswirken, kann nicht mit Berichten von willenlosen Figuren und Katastrophen-Szenarios abgetan werden. Die Generation „Masturbations-Monster“ ohne Herz und Seele ist ein Mythos. Sehr wohl aber werden sexuelle Skripts beeinflusst. Wie diese dann am Ende zum Leben erweckt werden, hängt davon ab, was sonst noch passiert. Eine zentrale Rolle spielt dabei, ob wir es schaffen, junge Menschen „abzuholen“ – mit einem unverkrampften sexualpädagogischen Angebot, das das kritische Denken schärft, um trügerische Bilder zu enttarnen. Motto: Nicht alles, was rammelt, ist gut und echt.
Lesen Sie dazu nächste Woche Teil 2: Leben mit dem Faktor Netz-Porno – was tun?
gabriele.kuhn@kurier.at
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