Naturwunder
Sex in der Freizeit: Outdoor-Sex haftet etwas Abenteuerliches und Magisches an. Zugegeben: Vögeln im Freien hat was, man sollte es wenigstens einmal im Leben ausprobiert haben.
Jetzt weiß ich also, was ein „Phallischer Schock“ ist: „Obwohl nicht weit verbreitet, gibt es wohl dokumentierte Fälle, besonders in Höhenlagen, die man vor dem Sex in Betracht ziehen sollte. Beim phallischen Schock führt eine plötzliche Ansammlung von Blut im Penis zur Bewusstlosigkeit.“
Wunderbar, ich fühle mich um ein wichtiges Stück Wissen bereichert. Zu verdanken habe ich das dem Büchlein „Sex. Vorbereitung. Technik. Varianten“ aus der Reihe „
Outdoor. Basiswissen für draußen“. Es hat 80 Seiten, 16 Illustrationen und besteht aus chlorfrei gebleichtem Papier. Ein lieber Kollege hat es mir als Willkommensgruß nach dem
Urlaub auf meinen Arbeitsplatz gelegt – mit dem launigen Vermerk: „Deine Neigungsgruppe“.
Ich lerne also daraus: Mannsbilder, die Sex auf dem
Großglockner oder im Basislager I des K2 haben möchten, sollten es langsam angehen und vor dem Vögeln recht viel Flüssigkeit zu sich nehmen. Dann steht dem Vergnügen fast nichts mehr im Wege.
Dazu vielleicht etwas Grundsätzliches: Ich glaube ja, die sexuelle Betätigung in Wald-, Wiesen- und Feuchtgebieten oder gar im nackten Fels eines hohen Berges ist überbewertet und wird von vielen Menschen idealisiert. Ja natürlich klingt das nach Rousseau’scher „Zurück-zur-Natur“-Romantik, von der sich viele etwas Großes, Besonderes erwarten. Vögeln auf Moos, Petting im Heu, Oralverkehr im Moor – hier erhofft sich so mancher Naturfreund eine Form von Erneuerung, die Rückkehr ins Paradies. Aber schön blöd: Der Apfel der Erkenntnis ist gegessen. Daher kenne ich viele, die diesem Trugschluss erliegend, enttäuscht und von Allergien, Insektenstichen, Krämpfen oder Spannern geplagt, reuig in die eigenen vier Wände und die Satinbettwäsche zurückkehrten. Oder ins Zimmer eines Stundenhotels.
Trotzdem finde ich: Jeder Mensch sollte zumindest einmal in seinem Leben unter freiem Himmel koitiert haben. Nein – zwei Mal. Einmal bei Tag, das andere Mal nachts. Laut den Autoren des Outdoor-Sex-Ratgebers hat das nicht nur romantische Gründe, sondern auch ernste, auf gewisse Weise weltbewegende. Sie schreiben: „Für diejenigen, die zunehmend zu dem Bewusstsein gelangen, dass die Menschheit eine destruktive Kraft in unserem empfindlichen Ökosystem ist, und deren Betroffenheit zu dem innigen Wunsch nach der Erhaltung der bedrohten Umwelt geführt hat, könnte der Gedanke hilfreich sein, dass Sex im Freien auf eindrucksvolle Weise ökologische Sensibilität demonstriert. In der Tat ist die Liebe in der freien Natur vielleicht die ökologisch sanfteste Aktivität.“
Vögeln, um das Klima zu retten oder den Anstieg des Meeresspiegels zu verhindern – das ist ein mutiger Gedanke. Da fällt mir G ein, die mit ihrem neuen Freund und Alpenvereinsmitglied demnächst zu einer Karwendel-Querung aufbricht. Am Telefon schildere ich das Gelesene und versuche ihr, eine Klettersteig- oder Gipfelkreuz-Nummer schmackhaft zu machen. G fragt mich, ob ich deppert bin und regt sich furchtbar auf. In Sachen Umweltschutz reiche es völlig, den Müll zu trennen. Schnackseln sei nach so einem Hatscher kein Thema. Ich vermute, dahinter steckt die Angst vor einem phallischen Schock.
gabriele.kuhn(at)kurier.at
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