Loslassen

Gestern erst hat das Kind Radfahren gelernt und mit dem Teddy geschmust, jetzt bimmelt die erste Liebe an der Haustür. Speziell Eltern von Töchtern schlittern nun in die erste Krise und stellen sich viele Fragen. Etwa zum Thema Aufklärung: Haben wir alles richtig gemacht?
Gabriele Kuhn

Gabriele Kuhn

Haben wir alles richtig gemacht?

von Gabriele Kuhn

über den ersten Freund der Tochter.

Es ist kompliziert. Freundin F raucht, obwohl sie damit aufgehört hat. „Es“ ist die Tochter von F (sie wird im Sommer 14) und nicht nur das. „Es“ ist eh alles. Die Pubertät, die Wut, der Hass aufs Lernen, die miesen Noten und all die Lehrer, die so tun, als wären sie nie verrückt, unvernünftig und hormonell indisponiert gewesen.

Abgerundet wird dieses „Es“ neuerdings durch einen „Er“. Der ist 17, trinkt ganz gerne Mal was Hartes und tschickt. Was den Burschen mit Fs „Puppi“ verbindet, ist das, was die Erwachsenen nur mehr aus Hollywood-Komödien kennen oder aus dem so genannten zweiten Frühling, dem ein kalter Ehekrieg vorangegangen ist: Sie ist in den jungen Mann verknallt.

Das macht Mama und Papa Kopfweh.

Denn natürlich rennt das Puppi jetzt nicht akut zu ihren Erzeugern um loszulegen: „Leute, ich hab was am Herzen, lasst uns drüber plauschen.“ Stattdessen wird mit Freundinnen darüber getuschelt, in der Peer-Group damit angegeben, per Smartphone das Liebesprotokoll in die Welt geschleudert. Über dem Rest des Tuns liegt Schweigen. Ja klar, wir Großen waren auch einmal verliebt und frech und deppert. Aber eines war klar: Die meisten von uns näherten sich der Liebe behutsam – weil sie sie nur aus der „Bravo-Lovestory“ kannten oder vielleicht noch aus der Quick und Praline. Doch wie erklärt man heute einem Kind, was Liebe ist und was nicht?

Und da steht sie, die Mutter, mit ihren Weisheiten und hat auch sowas wie ein schlechtes Gewissen. Ja klar, hätte sie das Kind aufgeklärt – „altersadäquat“ irgendwann einmal, als sie auf den Satz „Bin ich aus deiner Scheide gekommen?“ kindgerecht reagieren musste. Perfekte Gelegenheit, der Fünfjährigen auch gleich zu erklären, wie sie dort hineingekommen ist. Das Kind hat zugehört und dann eine Prinzessin gemalt. Jetzt ist es verliebt – und weder Vater noch Mutter wissen, wozu das führen könnte. Aber der Zutritt in diese Welt bleibt den Eltern verschlossen. „Elternverbotszone“, jawohl. Doch dass einer, der die 18 anpeilt, vom gemeinsamen Eisessen nicht wirklich satt wird, ist auch irgendwie klar.

Dazu kommt: Alles ist anders. Es gab Zeiten, da konnte sich jeder sein Bild von Sex, von ersten Berührungen und von einem Geheimnis namens Liebe machen. Man eroberte diese Welt – Schritt für Schritt, mal schneller, mal langsamer. Heute wird gerast. Für Eltern eine schwierige Herausforderung: Wo steht das Kind, wo hole ich es ab? Soll man beim Abendessen en passant fragen, was der Nachwuchs so über seine ersten Blowjob-Impressionen live aus dem Internet denkt? Heute sind die Jugendlichen der Realität durch die Möglichkeiten der digitalen Medien Meilen voraus. Nix zärtliche Cousinen – stattdessen wird gerammelt, geturnt, geschluckt und geleistet. Sex, losgelöst von Gefühlen und Praktiken, die so daherkommen, als wären sie in allen Schlafzimmern Alltag.

F hat entschieden: Sie schreibt dem „Puppi“ einen Brief. Darin wird was von Selbstachtung stehen, von Bauchgefühlen, von Selbstwert, von Grenzen, von Fremd- und Selbstbestimmung, vom Mut, nein zu sagen, von der Magie der Liebe. Und dann wird sie loslassen – und vertrauen müssen.

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