Lass fetzen, Darling

Versöhnungssex – das klingt nach Elizabeth Taylor und Richard Burton, nach Exzess und lauter Erotik. Dass viele Paare nach einem heftigen Streit am schönsten vögeln, ist kein Mythos, sondern Tatsache. Warum dieses Après wie ein Aphrodisiakum wirkt, hat viele Gründe. Zum Dauerzustand sollte der Konflikt-Koitus aber nicht werden.
Gabriele Kuhn

Gabriele Kuhn

Die Luft ist raus, findet die 42-jährige Angela. Was sie stört: Dass sie mit ihrem Kerl, zu dem sie seit fünf Jahren ein inniges Naheverhältnis hat, nicht mehr streiten kann. Sie fand die Fetzerei nämlich wahnsinnig anregend. Man kann durchaus behaupten, dass Angela keinen Sex ohne Streit hatte. Beziehungsweise: Keinen Streit ohne anschließenden Sex. Umso frustrierter ist sie, dass der Kerl ziemlich zahm geworden ist: „Friedlich wie Buddha, unangenehm gelassen. Aber wie vögelt man einen, dem anscheinend alles wurscht ist?“ Und überhaupt: Am besten käme sie, nachdem zuvor die „Hackl’n“ so richtig tief geflogen sind. Naja.

Vermutlich kann dieses „Problem“ nicht jeder nachvollziehen. Weil die meisten Paare recht froh sind, wenn die Liebe, oder das was von ihr geblieben ist, gemütlich dahinsurft. Streiten ist Stress, scheint unnötig, raubt Energie. Darüber lässt sich natürlich streiten, weil ein Konflikt auch die Chance birgt, sich weiterzuentwickeln. Nicht nur: Was den Friedenstäubchen entgeht, ist der sogenannte Versöhnungssex. Vögeln auf Stresshormon, wie auf Droge. Das ist gar nicht einmal so falsch. Der amerikanische Wissenschaftler Seth Meyers meinte bereits im Jahr 2012, dass die Kombi „Streit & Sex“ wie ein Naserl Koks wirken kann. Wenn sich zwei heftig in den Haaren liegen, wird das Hormon Testosteron ausgeschüttet und das wiederum kitzelt die Libido. Der daraus entstehende Turbo-Effekt könnte bewirken, dass „normaler“ Sex – sprich Beischlaf ohne vorangegangener Fehde – unschön schal schmeckt. Also beginnt die Lust an der Inszenierung: fetzen, schnackseln, fetzen. Nicht ganz gesund. Es gibt aber auch einen geerdeten Blickwinkel dazu – frei nach Wilhelm Busch: „Eine kleine Betriebsstörung im Verkehr zweier Herzen kann immerhin vorkommen.“

Der US-amerikanische Sexualforscher und Buchautor David Schnarch ist bekennender Streit-Fan. In einem Interview mit der „Zeit“ erklärte er, weshalb: „Wenn Sie erfolgreich streiten, werden Sie Ihren Partner erheblich mehr mögen. Und sich selbst und seinen Partner zu mögen, sind die beiden besten Aphrodisiaka der Welt.“ Er sagt, dass die Bereitschaft, sich schwierigen Themen zu stellen, nicht nur die Herzen der Menschen öffnen würde, sondern auch deren Anatomie.

Der deutsche Sexualwissenschaftler Christoph Joseph Ahlers schreibt aktuell in seinem neuen Buch „Himmel auf Erden & Hölle im Kopf. Was Sexualität für uns bedeutet.“ (Goldmann), dass es beim Versöhnungssex darum geht, sich durch körperliche Wiederannäherung von dem angstauslösenden Gedanken zu befreien, vom anderen abgelehnt und womöglich verlassen zu werden. Was da mitschwingt, ist ein „Ich will dich noch“ oder aber „Der andere will mich noch“. Das kann orgiastisch wirken – man nimmt den Partner erneut ein. Ahlers dazu: „Versöhnungssex ist für viele Paare der beste Sex, den sie jemals hatten, obwohl der Körper des anderen derselbe ist wie vorher und auf der Ebene der sexuellen Handlungen und Praktiken möglicherweise auch nichts anderes passiert ist als sonst.“ Was da natürlich ebenfalls eine Rolle spielt, ist die Entladung von Spannung. Wo Streit, da Aggression – erst befeuert sie den Konflikt, dann den Akt. Soll uns echt was Schlimmeres passieren.

gabriele.kuhn@kurier.at

Kommentare